WIENER PALAIS


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Zeittafel






Palais Pallavicini


Die Familie Pallavicini gehört zum ältesten italienischen Adel. Seit dem 11. Jahrhundert wird sie in italienischen Urkunden immer wieder genannt. Der 1148 verstorbene Oberto II Pelavicino gilt als Stammvater aller heute noch existierender Linien der Pallavicini. Er war ein Vertreter der Otbertiner, die ab 951 Markgrafen von Ostligurien und nach der Jahrtausendwende Markgrafen von Mailand und Genua waren. Ihr heutiger Adelstitel „Marchese“ geht auf das 14. Jahrhundert zurück und ist eine Übersetzung von „Markgraf“. Die weitverzweigten Pallavicinis waren Gefolgsmänner der Staufer und stets kaisertreu. Mit dem Sieg der Guelfen, die auf der Seite des Papstes standen, verloren sie aber einen Teil ihrer zahlreichen Besitzungen in Italien, die ihnen durch die Übernahme von Lehen und Erbschaften zugefallen waren. Trotz ihrer weiten Verzweigung und ihrer großen Bedeutung in Italien waren die Pallavicinis in Österreich vorerst hauptsächlich nur als Söldnerführer bekannt. Ein Zweig der Familie übersiedelte im 18. Jahrhundert nach Österreich-Ungarn, wo sie sich vor allem im Kampf gegen die Türken auszeichnete. An der Stelle des späteren Palais Pallavicini stand im 16. Jahrhundert das Majoratshaus der Grafen Salm, die sich ebenfalls vorwiegend durch militärische Erfolge auszeichneten. 1530 verstarb hier Niklas Graf Salm, der bei der ersten Türkenbelagerung die Verteidigung Wiens leitete. Er wurde dabei so schwer verwundet, dass er sein Kommando zurückgeben musste. Sein Stadtpalais war ihm erst 1526 von Erzherzog Ferdinand als Dank für seine militärischen Dienste geschenkt worden. Außer dem Palais am Josefsplatz hatten die Salm größere Besitzungen in Niederösterreich, wie Marchegg, Orth und Kreuzenstein, die im späten 16. Jahrhundert von der Familie wieder veräußert wurden. Das Stadtpalais wurde 1559 von Hektor Graf Salm an Kaiser Ferdinand I verkauft. Es gelangte später in das Eigentum von Erzherzog Carl und dann 1582 an die Erzherzogin Elisabeth, die Witwe König Karls IX von Frankreich. Diese war nach dem Tod ihres Gatten und ihrer Tochter 1580 nach Wien zurückgekehrt, dachte aber nicht daran, die hervorragende Lage des Palais unmittelbar neben der Hofburg als repräsentative Residenz zu nützen. Sie brachte den Bau in das von ihr gegründete Königinkloster ein. 1782 hob Kaiser Josef II das Kloster wieder auf. Im folgenden Jahr wurde es versteigert. Ein Teil der Gebäude wurde von Johann Reichsgraf von Fries erworben, der sich anschließend auf dem Grundstück ein prächtiges Palais erbauen ließ, das nach den späteren und heutigen Eigentümern schließlich Pallavicini-Palais genannt wird. Johann Reichsgraf von Fries war einer der reichsten Männer der Monarchie. Er hatte sein enormes Vermögen nicht zuletzt durch die Einführung des Maria-Theresien-Talers als internationale Handelsmünze im Nahen Osten und Nordafrika erworben. Sein Sohn Moritz war ein bedeutender Kunstsammler. Die Bildergalerie im Palais enthielt etwa 300 Gemälde und mehr als 100.000 Kupferstiche, die Bibliothek ca. 16.000 Bücher. Nach dem Tod von Graf Moritz wurden die Sammlungen aufgelöst und versteigert.

Es war Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg, der Lieblingsarchitekt der Kaiserin Maria Theresia und Schöpfer der Schönbrunner Gloriette, der in den nächsten Jahren die Pläne für einen schlichten frühklassizistischen Adelssitz umsetzte. Allerdings war dieser nicht unbedingt nach dem Geschmack seiner Zeitgenossen. Diese fanden ihn für einen so prominenten und eleganten Bauplatz wie dem Josefsplatz im Herzen der Habsburgermonarchie als ärmlich und unpassend. Um die ärgsten Kritiker zu beruhigen, musste das Gebäude bereits 1786 von Franz Anton Zauner durch die Hinzufügung des Karyatidenportals und dem gesprengten Giebel „behübscht“ werden. Im Sinne des veränderten Zeitgeschmacks wurden die Attikafiguren entfernt, ebenso die vier neben dem Portal und an den Gebäudeecken aufgestellten Steinvasen. Sie stehen heute im Park des Schlosses Vöslau, das damals ebenfalls den Grafen Fries gehörte. Nachdem das Bankhaus Fries in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten war und seine dominierende Stellung am Wiener Finanzmarkt verloren hatte, ging das Wiener Palais 1828 in den Besitz des Freiherrn Simon von Sina und 1842 an den Markgrafen Alfons Pallavicini über. Ein interessanter Vertreter der Familie Pallavicini war Alfred von Pallavicini. Wie viele junge Adelige war auch er ein begeisteter Sportler. Er bevorzugte das Bergsteigen, das ihm auch zum Verhängnis wurde. Die sog. Pallavicinirinne ist auch heute noch eine anstrengende Route zwischen Groß- und Kleinglockner. 1876 gelang ihm die Erstbegehung. Zehn Jahre später kam er bei einem Bergunfall mit drei Begleitern unterhalb des Glocknergipfels ums Leben.

Die prächtige Innenausstattung des Palais im Stil des 2. Rokokos durch Franz Beer, die heute noch manche Besucher für ein Meisterwerk des Barocks halten, erfolgte 1843/45. Sie erstreckte sich auf die Festsäle und bezog auch die Wohnräume der neuen Hausherren im Mezzanin ein. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der alte Dachstuhl erneuert. Die späthistoristische Erneuerung des Stiegenhauses erfolgte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit dem Untergang der Monarchie mussten Teile des weitläufigen Ensembles vermietet werden. 1919 zog die heute schon legendäre Tanzschule Elmayer-Vestenbrugg in die ehemaligen Stallungen ein. 1977 erfolgte eine Restaurierung der Fassade, der mehrere kleinere Umbauten folgten. Dadurch wurde der hochherrschaftliche Eindruck wieder betont. Das Pallavicini gehört zu den wenigen Wiener Palais, die noch von ihren adeligen Eigentümern bewohnt werden. Zur Erhöhung der Rentabilität werden aber auch manche Gebäudeteile vermietet.

Die klassizistische dreigeschossige Hauptfassade des Palais ist dem Josefsplatz zugewendet. Ihre Schlichtheit erinnert mit dem gebänderten Sockelgeschoß und dem einfachen Fassadenschmuck in den Obergeschoßen an die Wiener Zinshausarchitektur des 19. Jahrhunderts. Die große Attikaplastik, die Handel und Freiheit symbolisiert, weist jedoch beim Betreten des Josefsplatzes schon darauf hin, dass die hier wohnenden Leute einer anderen Gesellschaftsklasse angehören. Zwei liegende allegorische Figuren halten das Pallavicini-Wappen, das einen Doppeladler in Schwarz und Gold darstellt. Es ist von der prunkvollen Ordenskette des Goldenen Vlieses umgeben. Hinter den hohen, aber schmalen Fenstern des elfachsigen Gebäudes, die von Dreiecksgiebeln gekrönt werden, liegen die Repräsentationsräume. Das Vestibül führt zum Stiegenhaus, das eine helle Stuckolustro-Wandverkleidung zeigt. Eine dreiarmige Treppe führt nach oben. Im Erdgeschoß steht ein monumentaler Marmorkamin. Auffallend ist das schmiedeeiserne Treppengeländer, das sich im zweiten Obergeschoß weitert. Die ehemaligen Wohnräume bilden zwei durch einen Kamingang getrennte Enfiladen. Zentraler Raum ist der Speisesaal im Straßentrakt. An ihn schließen der Damensalon, der Ecksalon und der Rauchsalon an. Letzterer wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts im altdeutschen Stil eingerichtet. Die Ausstattung der Beletage ist neben jener des Stadtpalais Liechtenstein ein seltenes Beispiel des 2. Rokokos (oder Englischen Neorokokos) in Wien. Sie geht auf die Jahre 1843 bis 1845 zurück. Der vierachsige Festsaal war früher wesentlich niedriger, wurde aber durch die Einbeziehung von Teilen des ehemaligen Dachraumes deutlich vergrößert. Der kleinere Uhrensalon wirkt durch seine vergoldete Stuckdecke und die Boiserien von 1784. Auch die Wände des Grünen Salons sind mit frühklassizistischen Boiserien verkleidet. Als Blickfang dienen zwei große chinesische Vasen, bei denen es sich um Standleuchter handelt. Die Lüftungs- und Heizungsanlage der Beletage ist noch weitgehend original.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Josefsplatz 5

Besichtigung: teilweise möglich

Homepage: www.palais-pallavicini.at


Weitere Literatur:


31.12.2021