WIENER PALAIS


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Zeittafel






Palais Gutmann


Bauherr des im Äußeren eher unauffälligen Palais war Wilhelm Ritter von Gutmann, der durch die Förderung und den europaweiten Handel mit Kohle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fast eine Monopolstellung erreichen konnte. Er gehörte zu jenen Industriellen und Handelsherren, die es innerhalb von wenigen Jahren mit der Vermarktung recht einfacher Produkte zum Multimillionär brachten. So wie seinen ebenfalls äußerst erfolgreichen jüdischen Geschäftsfreunden (z.B. Ephrussi, Epstein, Königswarter, Todesco oder Schey) gelang es ihm jedoch auch nicht, in den österreichischen Hochadel aufzusteigen. Beim Baron oder Freiherrn war fast immer Schluss. Es half auch wenig, sich im Lebensstil den Adeligen anzugleichen. Die Familie Gutmann, die es innerhalb einer Generation schaffte, aus den bescheidenen Verhältnissen der mährischen Industriestadt Leipnik in den europäischen finanziellen Hochadel aufzusteigen, besaß schließlich mehrere Schlösser, so Jaidhof und Droß in Niederösterreich und einige andere im heutigen Tschechien. Da man im Hochadel nicht willkommen war, heiratete man meist im Bekanntenkreis. Eine Ausnahme war lediglich Wilhelms Tochter Elsa, die durch Heirat sogar Fürstin von Liechtenstein wurde. Das Wiener Palais ist Teil eines wesentlich größeren Areals, das die Parzellen Schubertring 5/7, Fichtegasse 10 und Beethovenplatz 3 umfasste. Dieses wurde 1856 vom Wiener Adels Casino Verein erworben, der hier am Schubertring Nr. 5 1868 das Adelige Casino errichtete, das der österreichisch-ungarischen Aristokratie als Wiener Stützpunkt dienen sollte. Es enthielt auch einige Wohnungen für alleinstehende junge Adelige. 1898 kauften die Brüder Wilhelm und Daniel Gutmann das Gebäude, das ihnen bis zu ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten 1939 als repräsentativer Familienwohnsitz diente. Ihr eigentliches Palais (Beethovenplatz 3) war aber bereits ein Jahr zuvor enteignet worden. Im Adeligen Casino zogen die Girovereinigung der Sparkassen sowie einige Dienststellen der NSDAP ein. 1947 wurde das Palais restituiert, aber drei Jahre später von der Girozentrale der Österreichischen Sparkassen erworben. Diese ließ es in ein großzügiges Bankgebäude verwandeln. Die Repräsentationsräume im ersten Stock blieben aber erhalten, ebenso das Treppenhaus. Die Inneneinrichtung hatte die beiden Weltkriege sowie die zweckwidrige Verwendung zum Teil recht gut überstanden. Als sich die Girozentrale und die Erste Österreichische Sparkasse zur Ersten Bank zusammenschlossen, wurde das bisherige Hauptgebäude der Girozentrale gemeinsam mit drei benachbarten Gebäuden an eine internationale Hotelgesellschaft verkauft, die hier mit großem finanziellen Aufwand das „Ritz-Carlton-Vienna“ als neues Wiener Luxushotel einrichtete. Es besteht heute aus drei ehemaligen Palais (Gutmann, Ölzelt und Adels Casino) sowie einem eleganten Wohnhaus, das vom Architekten Friedrich Schachner für die Familie Borkenstein erbaut wurde.

Das Palais Gutmann ist ein typisches Ringstraßenpalais aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Es wurde in den Jahren 1869 bis 1871 vom bekannten Ringstraßenarchitekten Carl Tietz errichtet. Als Architekturstil wurde der damals sehr beliebte „Strenge Historismus“, eine Wiederauflage des Renaissancestiles, gewählt. Er wurde damals auch als „Neuer Wiener Renaissancestil“ bezeichnet und war vor allem beim reichen Wiener Bürgertum sehr beliebt. Das fünfgeschossige Eckhaus weist am Beethovenplatz 3, der Hauptadresse des heutigen Ritz-Carlton Hotels, eine hohe Sockelzone auf, deren hervorstechendstes Element die markante dreiachsige Portalzone ist, die allerdings etwas ungünstig durch den modernen Schriftzug „Ritz-Carlton“ verändert wurde. Sie zeigt heute im Erdgeschoß vier kannelierte korinthische Pilaster, die im ersten Hauptgeschoß einen schmalen dreiachsigen Steinbalkon zu stützen scheinen. Die dahinter liegenden rechteckigen Fenster werden ebenfalls von solchen Fenstern flankiert. Die Nutzung der Räume im Souterrain hat sich im Lauf der Zeit mehrfach geändert. Waren hier ursprünglich Remisen, Stallungen und Kutscherzimmer eingerichtet, wurden diese bald von Garagen und Portierwohnungen abgelöst. Heute sind hier untergeordnete Dienste des Hotelbetriebes untergebracht. Das Foyer erhielt 1956 durch die Ausstattung mit Halbsäulen und der Ornamentmalerei an der Decke eine repräsentative Note. Die Räume im Hochparterre und dem ersten Stock wurden durch eine eigene Treppe erschlossen, die nur dem Hausherrn und seiner Familie zur Verfügung stand. Bemerkenswert ist das Stiegenhaus mit seiner von korinthischen Marmorsäulen gestützter repräsentativer Kassettendecke. Ihr Mittelbild zeigt eine weibliche Allegorie mit zwei Genien. Die Beletage diente der Familie Gutmann als Wohnung und war entsprechend fürstlich (Kassettendecke, Goldmalereien, Marmorkaminen) ausgestattet. Die Räume des zweien Stocks werden von rechteckigen Ädikula-Fenster beleuchtet. Die hier liegenden Salons und Gästezimmer waren ebenfalls sehr repräsentativ eingerichtet. Wilhelm Ritter von Gutmann war ein bedeutender österreichischer Kunstsammler, der seine Gemäldegalerie in seinem Palais am Schubertring zeigte. Außerdem ließ er das Stiegenhaus seines Palais und einige Wohnräume von August Eisenmenger dekorieren. Von den drei repräsentativen Bankportalen wurden zwei vermauert. Der Hoteleingang am Schubertring 5 ist modern und eher unauffällig.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Beethovenplatz 3

Besichtigung: meist nur im Rahmen des Hotelbetriebes möglich

Homepage: www.ritz-carlton.com


Weitere Literatur:


26.11.2021