WIENER PALAIS


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Palais Wessely


Baurat Carl Ritter von Wessely war ein wohlhabender Wiener Bürger mit vielfachen kulturellen Interessen. Er ließ sich in den Jahren 1891/92 in der heutigen Argentinierstraße ein Palais errichten, das sich von den meisten Palais seiner Zeit baulich deutlich unterschied. Die damaligen Alleestraße war im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts als herrschaftliche Wohngegend sehr beliebt, wie das benachbarte Palais Kranz oder das gegenüber liegende Palais Falkenstein zeigen. Als Architekten wurden die damals viel beschäftigten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer gewählt. Ausführender Baumeister war Adolf Zwerina. Es entstand ein kleines, aber feines Stadtpalais im Stil der römischen Hochrenaissance. Es war von Anfang an ausschließlich als komfortabler Wohnsitz für den Bauherrn gedacht. Auf die Vermietung von Teilen des Hauses, wie es bei den meisten Wiener Palais des 19. Jahrhunderts aus Ertragsgründen üblich war, wurde kein Wert gelegt. Dies änderte sich erst im 20. Jahrhundert, nachdem der Gartentrakt abgetragen und schließlich (2016/17) durch einen siebengeschossigen Baukomplex ersetzt worden war. Auch im Palais selbst wurden zuerst Büroräume und dann Wohnungen eingerichtet, wodurch die sehenswerte historistische Einrichtung beeinträchtigt und großteils zerstört worden war. Sogar die Raumaufteilung wurde verändert. Nachdem hier eine Zeitlang die iranische Botschaft ihren Sitz gehabt hatte, übernahm die Mineralölfirma Esso Austria AG das Gebäude, die für ihre Zwecke entsprechende Büroräume benötigte. In den letzten beiden Jahren erlebte das Palais seine – bis jetzt – endgültige Umwandlung in eine große moderne Wohnanlage mit 18 Luxuswohnungen und vier Büros. Die Architekten Philipp Janes und Bernhard Rapf waren für den Umbau verantwortlich. Glücklicherweise fand dieser an der Rückseite des Palais statt. Dieses steht daher nur mehr an zwei Seiten frei, doch hat sich sein Aussehen von der Argentinierstraße her kaum verändert. Die von den monströsen Neubauten praktisch erdrückte Rückseite ist – höflich ausgedrückt – gewöhnungsbedürftig.

Mit lediglich vier Fensterachsen an der Schauseite und drei Achsen an der Seitenfront ist das kubische Palais relativ klein. Umso prächtiger war es ausgestattet. Die Hauptfassade wird durch die hohen Ädikulafenster bestimmt. Ihre Dreiecksgiebel werden von ionischen Halbsäulen getragen, denen Blendbalustraden vorgesetzt sind. Ein deutlich vorkragendes mächtiges Dachgesims mit Zahnschnittfries schützt einen prächtigen umlaufenden Glasmosaikfries, der mit seinen im Renaissancestil ausgeführten Grotesken aus der Werkstatt des venezianischen Glaskünstlers Antonio Salviati stammt. Hinter einer etwas zurückgesetzten Attikabalustrade ist ein Dachgarten mit einem gigantischen Dachausbau versteckt. Auf den ersten Blick scheint das Palais nur aus zwei Teilen – dem rustizierten Erdgeschoß und der glatt verputzten Beletage zu bestehen, doch stützt sich das Erdgeschoß auf einen hohen Sockel, hinter dem sich ein Souterain verbirgt, in dem sich die Portier- und Kutscherwohnungen befanden. Auch der mit weißen Karlsbader Porzellanplatten verkleidete Pferdestall und die Wagenremise waren hier untergebracht. Im Erdgeschoß befanden sich straßenseitig die Zimmer des Sohnes während im Gartentrakt ein Sommerspeisezimmer eingerichtet war, das durch eine Terrasse mit dem Garten verbunden war. Außerdem lagen hier die Küchenräume. Die rundbogige Einfahrt an der Argentinierstraße führte in eine mit Eichenholz getäfelte Halle. Die hier befindliche freistehende Haupttreppe zur Beletage war eine Sehenswürdigkeit. Die Architekten Fellner und Helmer waren für die Errichtung und Ausstattung zahlreicher Theater der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bekannt. Daher überrascht es auch nicht, dass das repräsentative Treppenhaus wie die Inszenierung eines vornehmen Theaters wirkte. Ein mit ornamentalen Glasmalereien verziertes Oberlicht erhellte den durch zwei Geschosse gehenden Raum. Leider fiel er einer späteren „Modernisierung“ des Inneren zum Opfer. Eine weitere, ebenfalls aus Eisen konstruierte, aber mit Marmor belegte Nebentreppe verband alle Etagen.

Nahezu das gesamte Hauptgeschoß diente der Repräsentation. Darauf deutet schon die enorme Raumhöhe von ca. 4,8 Meter der Beletage hin. Sie dominiert auch die gesamte Fassade. In der Beletage lagen der Große Salon, sowie ein Damen-, ein Herrenzimmer und der Rauchsalon. Die Räume waren mit Stuckdecken sowie mit Bildhauerarbeiten von Viktor Tilgner und Deckengemälde der Wiener Maler P. v. Gasteb und Karl Johann Peyfuss ausgestattet. Palisander war die vorherrschende Holzart der Tür- und Wandverkleidungen. Das Mittelfeld einer üppigen Holzdecke des Herrenzimmers wurde von einer Venus beherrscht. Der Fußboden des Großen Salons, in dem auch Konzerte veranstaltet wurden, war als Resonanzboden ausgebildet. In seiner Stuckdecke sind noch einige eingesetzte kleine Gemälde zu sehen. Der Großteil der ursprünglichen Ausstattung der Repräsentationsräume ist aber spätestens beim Umbau von 1960 verloren gegangen. Von den Kunstgegenständen ist eine von Tilgner geschaffene Büste der Gattin des Bauherrn erhalten geblieben. Das zweite Stockwerk ist von außen nicht zu erkennen. Hinter der glatten Fassade der Straßenfront befand sich eine große Gemäldegalerie, die von oben beleuchtet wurde. Wie die prächtige Treppe ist auch sie längst verschwunden. An sie schloss sich eine Studierstube an. Heute versucht man vergeblich, im Palais die ehemaligen Wohnräume der Familie Wessely zu finden. Dafür gab es im Haupttrakt keinen Platz. Sie lagen im Gartentrakt, der aber zu Beginn der 60er Jahre komplett abgerissen worden ist. Hinter dem Palais erstreckt sich ein langer Innenhof, der einstige Garten. Er dient jetzt der Kommunikation und als Autoabstellplatz.

Ort/Adresse: 1040 Wien, Argentinierstraße 23

Besichtigung: nur von außen möglich

Homepage: www.palais-wessely.at


Weitere Literatur:


26.03.2018