Jonas Ritter von Königswarter (1807 – 1871) zählte im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts zu den reichsten Männern der Monarchie. Er hatte sein Vermögen durch Börsenspekulationen und sonstige Finanztransaktionen gemacht. Im Gegensatz zu vielen seiner rasch zu großem Reichtum gekommenen Zeitgenossen hatte er aber einen tadellosen Ruf. Persönlich lebte er einfach und bescheiden. Königswarter war Privatbankier, aber auch Gründungsmitglied der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft, Verwaltungsrat der Creditanstalt sowie Direktor der Oesterreichischen Nationalbank. Als Großinvestor war er an vielen österreichischen Firmen, wie der Kaiser Ferdinands-Nordbahn oder der Donaudampfschifffahrtsgesellschaft beteiligt. Er war auch Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde und verwendete große Teile seines Privatvermögens zur Schaffung wichtiger Wohlfahrtseinrichtungen seiner Glaubensbrüder, so z. B. das Israelitische Blindeninstitut oder das Taubstummen- und Waisenhaus. Königswarter war auch Immobilienentwickler, der die Gelegenheiten nutzte, die ihm der Fall der Wiener Stadtmauern bot. Bereits um 1860 ließ er durch die Architekten Johann Romano und August Schwendenwein den westlichen Teil des heute von Kärntner Straße, Bösendorfer Straße und Akademiestraße begrenzten Baublocks an der Wiener Ringstraße errichten. Dazu gehörte auch sein privates Wohnpalais mit der Adresse Kärntnerring 4, das 1862 fertiggestellt war. Es wurde bald zu einem Treffpunkt der Wiener Börsen- und Finanzwelt. Um den geschäftlichen Charakter dieser Zusammenkünfte zu betonen, verzichtete man bewusst darauf, die Ehefrauen der Geschäftsfreunde einzuladen. Dennoch kennen heute nicht viele Leute den Namen des Bauherrn, ganz im Gegensatz zu jenem einer späteren Besitzerin des Palais. 1907 erwarb Miklos Baron Kiß von Ittebe das Gebäude und vererbte es zwei Jahre später seiner Frau, der Burgtheaterschauspielerin Katharina Schratt. Diese starb hier 1940, fast 25 Jahre nach dem Tod des Kaisers Franz Joseph, dessen Vertraute und Begleiterin sie jahrzehntelang war. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Palais durch Fliegerbomben schwer beschädigt. Vorerst wurden die Schäden nur notdürftig behoben. Erst 1993 kam es zu einer Generalsanierung. Das Palais dient heute als Büro- und Wohnhaus.
Der unauffällige Baustil entspricht dem Übergang vom Romantischen zum Strengen Historismus. Die Schauseite am Kärntner Ring des viergeschossigen, aber nur sieben Fensterachsen breiten Privatpalais ist betont einfach gehalten. Das Erdgeschoß ist als Arkadensockel gestaltet, dessen hohe rundbogige Fenstern heute den dahinter befindlichen Geschäften als Portal dienen. An der Mittelachse springt über dem Eingang ein von Konsolen gestützter Balkon vor. Die Holzfüllungen des Portals sind mit Löwenmasken geschmückt. Über dem Mittelfenster des ersten Stocks erinnern unter einer einfachen Giebelverdachung ein Stuckwappen und der Wahlspruch „Candide Secure“ (ehrlich und sicher) an den Bauherrn. Das Wappen wird von zwei Löwen gehalten. Ansonsten besteht der Fassadenschmuck nur aus den mit Dekorationselementen bestückten Fensterverdachungen im ersten und zweiten Obergeschoß. Diese sind besonders elegant gestaltet. Der Raum zwischen den Fenstern der Beletage ist in Putzfelder aufgelöst. Tritt man durch das Portal, so steht man in einem zweijochigen, mit gekoppelten Pilastern geschmücktes Vestibül, von dem man in das Stiegenhaus gelangt. Auffällig ist hier das Schmiedeeisengeländer sowie die Verkleidung des Aufzuges. Die vier Gebäudeflügel des Palais umschließen einen verglasten Innenhof, der an zwei Seiten von dreistöckigen frühhistoristischen Holzpawlatschen umgeben ist. Der Hofbrunnen stellt eine amphorentragende Mädchenfigur dar. Sie stammt aus dem Katalog der Wienerberger Tonwarenfabrik.
Wie üblich lagen die Wohn- und Repräsentationsräume Königswarters in der Beletage. Gut erhalten ist die bis ins Detail gehende gepflegte wandfeste Innenausstattung. Sogar an den Türklinken findet man das Monogramm des Bauherrn. Die Repräsentationsräume sind mit prachtvollen Stuckdecken geschmückt. Besonders elegant ist der Festsaal mit seiner Wandverkleidung aus hellbraunem Stuckmarmor und den goldgerahmten Spiegeln zwischen den Fenstern. Die Wände sind durch weiße Kompositpilaster gegliedert. Die Ecken des teilweise vergoldeten Holzplafonds zeigen Vierpassgemälde, die Allegorien der vier Jahreszeiten darstellen. Ansonsten haben sich ein weißer Marmorkamin und ein schöner Kristallluster erhalten. Zwei weitere Räume weisen an den Wänden weiße Holzlambris und zum Teil vergoldete Decken auf. An einer zeigen Putten eine Allegorie der Künste. Da die Schratt-Wohnung im dritten Obergeschoß bis 1940 von der Schauspielerin bewohnt wurde, hat sich ihre Ausstattung und vor allem die Möblierung besser erhalten, als jene des Hausherrn. Sie besteht aus dem Salon, der Bibliothek, dem Speisezimmer und einem Nebenraum. Die Wände des Salons sind mit einer gelblichen Birkenholzboiserie verkleidet, in die dünklere Intarsien eingearbeitet sind. Die Bibliothek ist ein kleinerer Raum, der eine bemerkenswerte Neorokoko-Ausstattung aufweist. Eine rötlich-braune Boiserie bedeckt die Wände. Ein in die Wand eingelassener Bücherschrank hat einen vergoldeten Rahmen. Der weiße Plafond zeigt vergoldete Schnitzereien mit kleinteiligen figuralen Chinoiserien. Ein schwarz-weißer Marmorkamin ist mit vergoldeten Putten bestückt. Die Möbel stammen meist vom Ende des 19. Jahrhunderts. Im Speisezimmer sind die altdeutsche hölzerne Kassettendecke sowie der grüne Onyxkamin interessant.
Ort/Adresse: 1010 Wien, Kärntner Ring 4
Besichtigung: meist nur von außen möglich
Weitere Literatur:
23.10.2017