WIENER PALAIS


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Palais Todesco


Das Palais Todesco zählt zu den frühesten großen Palästen der Ringstraßenepoche, obwohl es eigentlich gar nicht direkt an der Ringstraße liegt. Es wurde nahezu zeitgleich mit der Wiener Oper errichtet. Damals standen noch umfangreiche Teile der alten Stadtmauer. Das großes Zinspalais in der oberen Kärntner Straße wurde in den Jahren 1861 bis 1864 von den Architekten Christian Ludwig Förster und Theophil Hansen für den Kaufmann und Bankier Eduard Freiherr von Todesco und dessen jüngeren Bruder Moriz erbaut. Vorbilder waren die italienischen Renaissancepaläste. Während die Gesamtplanung sowie die Gestaltung der Fassaden weitgehend auf Christian Ludwig Förster zurückgehen, war sein Schwiegersohn Theophil Hansen in erster Linie für die Innenausstattung zuständig. Diese stellt durch die Einheit von Architektur, Malerei, Kunsthandwerk und Bildhauerei ein Gesamtkunstwerk dar. Der Baugrund im Stadterweiterungsgebiet war damals und wäre es wohl auch heute noch wegen seiner prominenten Lage neben der Staatsoper einer der teuersten Wiens. Hier befand sich bereits Ende des 13. Jahrhunderts der Kärntner Turm zum Schutze des wichtigen Kärntner Tores. Er war bei der Belagerung Wiens 1529 Hauptangriffsziel der Türken. Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert diente er auch als Stadtgefängnis. So waren 1463 hier nicht weniger als 236 kaiserliche Söldner eingesperrt. Als 1671 das neue Kärntnertor errichtet wurde, trug man den Turm zum größten Teil ab. Mit der Explosion einer benachbarten Schießpulvererzeugung verschwanden 1752 die Reste.

Die Mitglieder der ursprünglich aus Rumänien stammenden Familie Todesco hatten es geschafft, innerhalb von nur zwei Generationen von kleinen jüdischen Händler zu den reichsten Finanzmännern der Monarchie aufzusteigen. Als Hermann Todesco 1844 starb, gehörten bereits mehrere Fabriken und Handelshäuser zu seiner Verlassenschaft. Sein Sohn Eduard war bereits ein typischer Vertreter der Finanzaristokratie seiner Zeit. Er leitete seit 1848 ein Großhandelshaus, dem eine Privatbank angeschlossen war. Seinen Reichtum gewann er aber zum Großteil durch Grundstücks- und Börsenspekulationen. Anlässlich der Verlobungsfeier der Tochter Eduard Todescos mit dem englischen Politiker Henry Worms wurde das Palais am 4. Mai 1864 erstmals der Öffentlichkeit bzw. den 500 Gästen des Hausherrn präsentiert. Während dieser zwar als Börsengenie, aber sonst als relativ einfach galt, führte seine Gattin Sophie im Palais den wohl berühmtesten Künstlersalon ihrer Zeit, zu dessen Gästen u.a. Hugo von Hofmannsthal, Ferdinand von Saar, aber auch Henrik Ibsen und Anton Rubinstein gehörten. Im Festsaal fanden damals zahlreiche private Theateraufführungen sowie Präsentationen der beliebten „Lebenden Bilder“ statt. Johann Strauß Sohn lernte hier die Opernsängerin Henriette „Jetty“ Treffz, seine spätere Frau, kennen, die zuvor die Lebensgefährtin von Moriz Todesco war. Dieser hatte bereits 1862 vom Architekten Hermann Wehrenfennig das dem Palais Todesco benachbarte Haus Walfischgasse Nr. 4 erbauen lassen, so dass das Palais in der Kärntner Straße nunmehr seinem Bruder Eduard Todesco allein zur Verfügung stand.

Bemerkenswert für die damalige Zeit war die Dreiklassengesellschaft – Hochadel, Finanzadel und Bürgerturm, wobei deren Mitglieder jeweils in die nächst höhere Klasse aufsteigen wollten, von dieser aber negiert oder sogar verachtet wurden. Trotz ihres legendären Reichtums gelang es weder den neureichen Todescos noch später den Rothschilds in den Hochadel aufzusteigen. Freiherr bzw. Baron war der höchste erreichbare Adelstitel für einen jüdischen Aufsteiger des 19. Jahrhunderts. Eduard Todesco und sein Bruder wurden erst 1861 auf Grund ihrer Verdienste um die österreichische Wirtschaft in den Ritterstand und 1869 in den Freiherrenstand erhoben. Auf den glanzvollen Festen im Palais Todesco traf man unter den Gästen zwar die interessantesten Repräsentanten der „Zweiten Gesellschaft“ aus Kultur, Finanz und Wissenschaft, aber kaum einen Adeligen vom Grafen aufwärts. 1899 besaß die mit den Todescos verwandte Gabriele Baronin Oppenheimer 2/3 des Palais. Erst als am Ende des ersten Drittels des 20. Jahrhundert der letzte Erbe der Familien Todesco und Oppenheim sich durch einen Sprung aus dem dritten Stock des Palais sich das Leben nahm, ging dieses in andere Hände über. 1935 erwarb die Bundesländer-Versicherung das Gebäude, deren Nachfolgegesellschaft Uniqa es heute noch gehört. 1945 wurde der Bau durch Bombentreffer schwer beschädigt aber bis 1947 wiederhergestellt. Das benachbarte Palais Moriz Todesco hingegen wurde im Zweiten Weltkrieg völlig zerstört und nicht mehr in seiner alten Form neu aufgebaut. Von 1947 bis 1993 befand sich im Palais Eduard Todesco der Sitz der Österreichischen Volkspartei. Nachdem es 1976 unter Denkmalschutz gestellt worden war, wurde es zuletzt 1978/79 umfassend restauriert, wobei es sein ursprüngliches Aussehen wieder erhielt. Derzeit dient das Gebäude als Mietobjekt. Die prächtige Beletage wurde 2008 von der bekannten Wiener Konditorei und ehemaligen k. u. k. Hofzuckerbäckerei Gerstner angemietet. Die Räume können für private Veranstaltungen und Feste genutzt werden.

Der langgestreckte Neo-Renaissance-Bau weist an der reich dekorierten Schauseite 14 Fensterachsen auf. Seine drei Straßenfronten sind um einen glasgedeckten Innenhof, in dem sich ursprünglich der Zugang zu den Stallungen mit ihren marmornen Futterkrippen befand, angeordnet. Ein Wintergarten springt erkerartig in den Hofraum vor. Die fünfgeschossige Hauptfassade an der Kärntner Straße ist vorwiegend horizontal gegliedert. Dazu tragen vor allem die Balustraden im ersten und zweiten Obergeschoß bei. Über dem zweigeschossigen rustizierten Sockel erheben sich zwei durch ihre großen rundbogigen Fenster und die korinthischen Pilaster betonte Hauptgeschosse sowie ein Dachgeschoß, dessen kleine quadratische Fenster auf untergeordnete Räume oder Personalwohnungen hinweisen. Zahlreiche, überlebensgroße, fast vollplastische Karyatiden tragen das vorkragende Dachgesims, auf dem eine mit Vasen besetzte Balustrade das Gebäude nach oben abschließt. Zwei eingeschossige zweiachsige Erker an den Gebäudeecken und ein vierachsiger Mittelbalkon betonen die Beletage. Sie werden von jeweils zwei Herkulesstatuen getragen. Im ersten Stock sind die Zwickel der großen Bogenfenster mit Siegesgöttinnen dekoriert. Die beiden Seitenfassaden des Palais sind wesentlich einfacher gestaltet. Unter dem Balkon führt ein breites Rundbogentor in eine mit Stuckmedaillons an den Wänden geschmückte Einfahrt. An der rechten Seite der folgenden Säulenhalle gelangt man über ein zweites Vestibül in das herrschaftliche Treppenhaus bzw. in die der Hausherrenfamilie vorbehaltene Beletage. Die dreiläufige Treppe ist um einen offenen Schacht geführt. Sie wird von einem durchbrochenen schmiedeeisernen Geländer begrenzt. An den Ecken übernehmen Knabenfiguren aus Bronze mit den von ihnen gehaltenen Laternen die Beleuchtung. Ein Glasdach sorgt für zusätzliches Licht. Die Unterseiten der Treppenläufe sind stuckiert.

Die Ausstattung der Beletage wurde weitgehend von Theophil Hansen geplant. Carl Rahl entwarf die Wand- und Deckengemälde, die von seinen Schülern Gustav Gaul, Karl Lotz und Christian Griepenkerl ausgeführt wurden. Die aufwendig geschnitzten Vertäfelungen der Wände und Decken mancher Räume stammen von Lorenz Gedon. Architektonischer Höhepunkt ist der goldüberladene Tanzsaal mit seinen, in die Felder der schweren Kassettendecke eingesetzten Gemälden. Die Decke des Saales wird von Säulen und Pilastern aus rotem Marmor getragen. An der dem anschließenden Speisesaal zugewandten Wand ist ein kleinerer offener Raum ausgespart, der durch zwei korinthische Doppelsäulen aus rotem Marmor vom eigentlichen Tanzsaal getrennt ist. Vermutlich saßen hier die Musiker. Die Wandgliederung des Saales erfolgt durch kannelierte einfache und gekoppelte korinthische Pilaster aus rotem Stuckmarmor mit vergoldeten Kapitellen. Durch geschickt angeordnete Spiegel wirkt der Raum wesentlich größer als er tatsächlich ist. Die schwere vergoldete Stuckkassettendecke zeigt kleine Gemälde, die von Christian Griepenkerl nach Entwürfen von Carl Rahl gemalt wurden. Sie zeigen u. a. Eros und Anteros sowie Grazien. Fast noch reicher dekoriert ist der benachbarte Speisesaal. Die üppige, venezianisch beeinflusste Kassettendecke zeigt im ovalen Mittelbild das Gemälde „Urteil des Paris“, ein Hauptwerk von Carl Rahl und wird nach diesem auch Parissaal genannt. Von Karl Lotz stammen die kleineren Bildfenster Hoffnung, Glück, Schicksal und Nemesis. Der umlaufende Bilderfries, der die Wände nach oben abschließt, hat Szenen aus der Parissage zum Inhalt. Er ist ein Werk von Christian Griepenkerl. Darunter fallen die originellen Wandleuchten auf. In einigen Räumen des Hauses haben sich bemerkenswerte Kachelöfen aus der Erbauungszeit erhalten, obwohl das Palais mit einer der ersten Warmluft-Zentralheizungen Wiens ausgestattet war. Allegorien des Handels, der Eisenbahn, der Industrie und der Schifffahrt, wie sie an der Decke des Arbeitszimmers zu sehen sind, sind in österreichischen Palais wohl selten, zeigen aber, womit der Hausherr reich geworden ist. Das erst 1874 vom Architekten und Bildhauer Lorenz Gedon für den Sohn Eduards, Hermannn, ausgestattete sog. Gedon-Zimmer unterscheidet sich stilmäßig völlig von den von Theophil Hansen gestalteten Räumen. Die geschnitzten Holzvertäfelungen sind in den Formen des deutschen Manierismus gehalten. Ein bemerkenswertes Werk des Wiener Historismus ist der dort stehende mächtige grüne Kachelofen mit seinen stattlichen Atlanten und reliefierten Heldendarstellungen.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Kärntner Straße 51

Besichtigung: meist nur von außen möglich


Weitere Literatur:


19.01.2016