WIENER PALAIS


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Apostolische Nuntiatur


Unter Nuntiatur versteht man die Residenz des diplomatischen Vertreters des Vatikans in einem befreundeten Land. Meist ist der Nuntius auch Doyen des Diplomatischen Corps. In Wien lebte der Nuntius seit 1529 im Franziskanerkloster, sofern er nicht gerade Graz oder Prag besuchte. Ab 1630 bewohnte er das heute nicht mehr existente Althan’sche Palais. Es war ein Geschenk des kaiserlichen Generals Graf Michael Adolf von Althan an Papst Urban VIII und befand sich an der Stelle der heutigen Österreichischen Kontrollbank AG am Platz „Am Hof“. Ab 1909 gab es Überlegungen, das bereits veraltete und reparaturbedürftige Gebäude zu verkaufen. 1912 gelang es ein 1600 m² großes Grundstück an der Ecke Theresianumgasse/Viktorgasse im Botschafterviertel des 4. Bezirks zu erwerben. Das bisher genutzte Palais wurde an die Kontrollbank verkauft, die es abreißen und durch einen Neubau ersetzen ließ. Dieser wurde 1945 durch Fliegerbomben zerstört. Das in der Theresianumgasse stehende Haus, in dem von 1851 bis 1865 der Maler Carl Rahl sein Atelier hatte, wurde noch 1912 ebenfalls abgerissen und an seiner Stelle ein neues Palais im Stil der italienischen Renaissance errichtet. Die Bauarbeiten waren bereits am 1. September 1913 beendet. Die Nuntiatur ist damit wohl das jüngste der zahlreichen Wiener Stadtpalais.

Die Pläne stammen vom italienischen Architekten Pietro Palumbo. Ihre Umsetzung lag in den Händen der Wiener Baufirma Detoma und Hechtl. Die Baukosten hatte Kaiser Franz Joseph übernommen. Zur repräsentativen Ausstattung trugen großzügige Spenden des österreichischen Hochadels bei. Anfangs der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts wurde in der Nuntiatur das neue Konkordat zwischen dem Vatikan und der Republik Österreich ausgearbeitet. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich wurde Nuntius Erzbischof Gaetano Cicognani von Reichsstatthalter Seyß-Inquart aufgefordert, binnen weniger Tage das Land zu verlassen. Das Gebäude der Nuntiatur wurde beschlagnahmt und dem Amt für Gewässerkunde überlassen. Von April 1945 bis März 1946 war das Gebäude von sowjetische Soldaten besetzt, doch mussten es diese bald wieder verlassen, da 1946 Österreich neue diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan aufnahm. Nach einer gründlichen Renovierung konnte Erzbischof Maurillio Silvani als neuer Nuntius wieder in das Palais einziehen. Seit 1960 ist der Nuntius auch bei der Internationalen Atomenergie-Behörde als Repräsentant des Vatikans akkreditiert. 1967 erfolgte die Akkreditierung auch bei der in Wien angesiedelten UNIDO. Die Nuntiatur dient übrigens nicht nur diplomatischen Zwecken sondern auch als Herberge für die Päpste bei ihren Wien-Besuchen. So residierten hier kurzzeitig Johannes Paul II (1983, 1988 und 1998) und Benedikt XVI (2007).

Das Gebäude wurde in der Art eines römischen Renaissance-Palastes errichtet. Es erinnert an den Palazzo Farnese. Die elfachsige dreigeschossige Fassade an der Theresianumgasse ist im Erdgeschoß genutet und hier mit vergitterten Rundbogenfenstern sowie einem Rundbogenportal versehen. Die Beletage im ersten Stock ist an den von Halbsäulen flankierten Ädikulafenstern erkenntlich. Sie zeigen abwechseln Segmentbogen- und Dreiecksgiebeln. Rechts und links des Mittelfensters sind das Wappen von Papst Pius X sowie das österreichische Staatswappen zur Zeit der Erbauung aufgemalt. Dem Mittelfenster ist ein Balkon mit steinerner Balustrade vorgelagert. Von hier aus begrüßten die in Wien weilenden Päpste jeweils die vor dem Palais wartenden Menschen. An der Ecke des ersten Obergeschosses befindet sich eine kleine Ädikulanische mit einer Madonnenfigur. Die Fenster des zweiten Stocks sind mit einfachen Rahmungen und geraden Verdachungen versehen. Das Hauptgesims zeigt Motive aus dem Wappen des Papstes Pius X, der zur Zeit der Erbauung der Nuntiatur Oberhaupt der Katholiken war. Die vierachsige Seitenfront an der Viktorgasse entspricht der Hauptfassade. Eine Sandsteinfigur aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die den Guten Hirten darstellt, steht in einer flachen Mauernische der Hoffront. Die Gartenmauer wird von einer Attikabalustrade abgeschlossen.

Die repräsentative Hauseinfahrt weist ein kassettiertes Tonnengewölbe auf, das über den seitlichen, von Säulen flankierten Eingängen Stichkappen aufweist. Es ist in weißem Stuck ausgeführt. Im Vestibül wurde eine Büste von Papst Pius X aufgestellt. Im Erdgeschoß liegen an der linken Seite des Portals Büroräume und das Archiv. Rechts von der Einfahrt befindet sich die im Stil der Spätrenaissance gehaltene Kapelle. Wie bei einer Nuntiatur zu erwarten, wurde auf eine gediegene Ausstattung der Hauskapelle Wert gelegt. Das große Ölgemälde im Vorraum stammt von Ludwig Schnorr von Carolsfeld. Es ist mit 1831 datiert und stellt Christus vor dem Hohepriester dar. Die Kapelle ist ein rechteckiger Raum unter einem stuckierten Spiegelgewölbe. Ihre Wände werden durch Lisenen gegliedert. Der Altarraum wird durch einen Triumphbogen mit ionischen Säulen betont. In seinem Scheitel erkennt man das Papstwappen. Über dem aus Carrara-Marmor gefertigten Altar ist ein großes Gemälde eines unbekannten Malers der Bologneser Schule aus der Zeit um 1700 angebracht. Es zeigt die Verkündigung Mariens und ist ein Geschenk des Grafen Bartolomeo Lippay. Die beiden Tondi über den Sakristeitüren zeigen die Apostel Petrus und Paulus. Sie wurden vom Grafen Lippay gemalt. Ein Glasgemälde, das die Heiligen Martin und Gottfried von Tours zeigt, ist mit 1887 bezeichnet. Es stammt noch aus der alten Nuntiatur Am Hof.

An der rechten Seite führt das Foyer zum Stiegenhaus. Dieses ist mit Muschelnischen und einem kuppeligen Gewölbe ausgestattet. Seine Wände sind mit Kunstmarmor und Stuccolustro verkleidet. Eine Vierpfeilertreppe führt in die oberen Stockwerke. Im ersten Stock liegen die Wohn- und Empfangsräume des Nuntius sowie der Große Speisesaal. In den Repräsentationsräumen der Beletage hat sich das originale Mobiliar im altdeutschen Stil weitgehend erhalten, da dieses 1938 in den Vatikan ausgelagert worden war. Der Gelbe Salon wurde früher als Thronsaal bezeichnet, da sich hier ein Thronbaldachin befand. Heute werden hier hauptsächlich Diplomaten empfangen. Der Rote Salon ist mit einer aufwändigen Stuckdecke und roten Damasttapeten ausgestattet. An den Wänden hängen Gemälde von Päpsten und Nuntien. Im zweiten Obergeschoß befinden sich Gästezimmer sowie die Wohnung des Sekretärs, aber auch die Bibliothek und die Küche. Im ausgebauten Dachgeschoß leben die mit der Betreuung des Nuntius und seiner Gäste beauftragten Klosterschwestern. Hinter der Nuntiatur erstreckt sich ein Garten mit zum Teil interessanten Gewächsen.

Ort/Adresse: 1040 Wien, Theresianumgasse 31

Besichtigung: nur von außen möglich

Homepage: www.nuntiatur.at


Weitere Literatur:


16.01.2015