WIENER PALAIS


Adressverzeichnis

Zeittafel






Bundeskanzleramt


Wie bei Regierungsgebäuden in vielen Ländern üblich, wurde die Adresse, in diesem Fall Ballhausplatz 2, oft als Synonym für das österreichische Bundeskanzleramt sowie für die österreichische Außenpolitik verwendet, obwohl die ausufernde Bürokratie längst dazu geführt hat, dass weitere Gebäude in der Innenstadt Wiens einzelne Sektionen des Bundeskanzleramtes beherbergen und das Außenministerium 2006 in das unweit gelegene Haus der ehemaligen Niederösterreichischen Statthalterei gezogen ist. Kaiser Ferdinand I ließ hier 1520 ein sog. Ballhaus errichten. Er hatte die Sportart des Ballspieles aus Spanien mitgebracht. Sie wurde bei der Wiener Jungaristokratie bald sehr populär. Das Ballhaus wurde jedoch schon beim Stadtbrand von 1525 zerstört. Geblieben ist der Name. Auf dem Areal des heutigen Bundeskanzleramtes befanden sich im 16. Jahrhundert die Pfisterei (Bäckerei) des benachbarten Minoritenklosters sowie das Haus des Provinzials. Außerdem wird hier ein kaiserlicher Meierhof erwähnt. Kaiser Karl VI und sein Hofkanzler Philipp Ludwig Graf Sinzendorf fanden, dass eine Weltmacht, wie sie Österreich damals war, ein repräsentatives Gebäude für die kaiserliche Diplomatie benötigte. 1717 wurde Johann Lucas von Hildebrandt mit der Errichtung eines barocken Palais für die Geheime Hofkanzlei beauftragt. Ausführender Baumeister war Christian Alexander Oedtl. Die Baukosten sollten durch eine neue Steuer auf den Verzehr von Rindfleisch finanziert werden, was aber nicht ausreichte, da die Einnahmen zweckentfremdet für eine Gehaltserhöhung der Beamten verwendet wurden. Dennoch waren die Bauarbeiten bereits vier Jahre später beendet. Schon bei der Planung war eine doppelte Nutzung vorgesehen. Das Gebäude wurde Sitz der Staatskanzlei, die auch die Aufgaben eines Außenministeriums übernahm. Außerdem sollte es als Wohnung für den Staatskanzler dienen. Seine erste Glanzzeit erlebte der Bau unter Wenzel Anton Fürst Kaunitz. Auf Grund der Verwaltungsreformen der Kaiserin Maria Theresia war das Palais bald zu klein geworden. Vor allem die Zentralisierung der bisherigen Landesverwaltungen in Graz, Innsbruck und Prag benötigten umfangreichen Archiv- und Büroraum. In den Jahren 1764 bis 1767 erfolgte daher durch den Hofarchitekten Nicolaus Pacassi der erste größere Um- und Ausbau. Damals erfolgte auch der Einbau einer zweigeschossigen Kapelle.

Kaunitz nahm an der Ausgestaltung der Räume großen Anteil. Da er Sonnenlicht und Frischluft nicht vertrug, suchte er sich das dunkelste Zimmer als Amtsraum aus. Seine zweite Blütezeit begann für das Palais 1809, als Clemens Wenzel Graf Metternich zum Staatskanzler ernannt und mit der Außenpolitik beauftragt wurde. Das Gebäude musste aber zuvor im Inneren renoviert werden, da es von französischen Besatzungssoldaten verwüstet worden war. 1813 wurde Metternich in den Fürstenstand erhoben. Er und seine Familie bewohnten in den Wintermonaten den zweiten und dritten Stock des Gebäudes, das damals Palais Metternich genannt wurde. Die Beamten der Staatskanzlei hatten im ersten Stock ihre Büros, während im Erdgeschoß Stallungen und Remisen sowie die Küche und andere Wirtschaftsräume untergebracht waren. Auch ein Teil der Bediensteten lebte hier. Während des Wiener Kongresses spielte das Gebäude als zentraler Verhandlungsort eine bedeutende Rolle. Am 9. Juni 1815 wurden im Kongresssaal die Schlussakte unterzeichnet. 1818 wurde die Kapelle durch eine Zwischendecke geteilt und der gewonnene Raum zur Bibliothek umfunktioniert. In der privaten Bibliothek Metternichs standen mehr als 20.000 Bände. 1821 und 1826 erfolgten spätklassizistische Umbau- und Renovierungsarbeiten. Bereits 1825 war im Haus eine moderne Warmluftheizung eingebaut worden. Metternich trat im Zug der Revolution von 1848 von seinem Amt zurück und floh nach England. Sein Nachfolger am Ballhausplatz wurde Felix Fürst Schwarzenberg. 1881/82 wurde das Gebäude in Richtung Löwelstraße/Metastasiogasse durch Ludwig Zettl im neobarocken Baustil erweitert. Das nach dem Ausgleich mit Ungarn geschaffene k. u. k. Ministerium des Äußeren brauchte neuen Platz. Der Architekt Otto Hofer ließ nach der Demolierung des Minoritenklosters in den Jahren 1900 bis 1903 am Minoritenplatz einen Ergänzungstrakt errichten, der das Haus-, Hof- und Staatsarchiv aufnahm.

1914 ging vom Ballhausplatz das verhängnisvolle Ultimatum an Serbien ab, das zum Auslöser des ersten Weltkrieges wurde. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie residierten am Ballhausplatz die österreichischen Bundeskanzler sowie die für die Außenpolitik zuständigen Regierungsmitglieder. Von 1920 bis 1938 diente das Bundeskanzleramt auch dem österreichischen Bundespräsidenten als Amtssitz. Am 25. 7. 1934 wurde im Zuge eines nationalsozialistischen Putschversuches in einem Salon des Gebäudes der damalige Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß ermordet. Nach dem erzwungenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 wurden im ehemaligen Palais vorerst nur untergeordnete Dienststellen untergebracht. 1940 zog Gauleiter Baldur von Schirach ein. Der rechte Gebäudeflügel wurde 1944 durch Fliegerbomben weitgehend zerstört. Der Wiederaufbau erfolgte zwar bereits 1946, doch dauerte es bis 1950, bis die betroffenen Innenräume wieder hergestellt bzw. neu gestaltet worden waren. Bundespräsident Dr. Karl Renner war bereits 1946 in den Leopoldinischen Trakt der Hofburg übersiedelt. 1959 wurde das 1922 aufgelöste Außenministerium neu gegründet. Es bezog wieder etliche Räume in seiner alten Wirkungsstätte. Eine Generalrenovierung stellte zwischen 1990 und 2000 den Originalzustand der Prunkräume soweit wie möglich wieder her.

Das barocke Palais des Bundeskanzleramtes bildet mit dem anschließenden neobarocken Haus-, Hof- und Staatsarchiv einen großen, freistehenden, fünfseitigen Gebäudekomplex. Seine Schauseite ist dem Ballhausplatz zugewendet. Trotz der vielen Umbauten entspricht diese Seite noch weitgehend dem Werk Hildebrandts. Die mit Keilsteinen geschmückten Fenster des gebänderten Sockelgeschosses weisen schöne schmiedeeiserne Gitterkörbe auf. Die 1826 vergrößerten Fenster der Beletage sind mit geraden Verdachungen versehen. Der kaum vortretende dreiachsige Mittelrisalit wird durch korinthische Riesenpilaster gegliedert, die die beiden Obergeschosse zusammenfassen. Die drei großen rundbogigen Fenster im ersten Stock des Mittelrisalits zeigen segmentbogige bzw. dreieckige Verdachungen mit darunter befindlichen vergoldeten Masken. Die einstigen barocken Attikafiguren wurden 1826 durch einen einfachen Aufbau mit einem geteilten Ochsenauge ersetzt. Das zentrale Rundbogenportal wird von schräg gestellten Pilastern eingefasst. Darüber springt ein geschwungener Balkon mit steinerner Balustrade vor. Die Seiten- sowie die Hoffassaden sind der Hauptfront angepasst. Die dreischiffige tonnengewölbte Einfahrtshalle ist mit Bandlwerkstuck geschmückt. Rechts von ihr liegt das barocke Stiegenhaus. Hier führt eine vierarmige Treppe zur Beletage. Der Aufgang ist mit qualitätvollen Schmiedeeisenlaternen ausgestattet. Das Spiegelgewölbe des Treppenhauses ist mit stuckierten Medaillons, Putten und Bandlwerk reich verziert.

Das Innere des Hauses stammt zum größten Teil aus dem 19. Jahrhundert. Im linken Bereich der Beletage hat sich die spätklassizistische Enfilade der Repräsentationsräume erhalten, während im rechten Teil die Säle nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges von Oswald Haerdtl und Robert Obsieger neu gestaltet wurden. In diesem Flügel befinden sich heute die Amtsräume des Bundeskanzlers. Sein Arbeitszimmer ist der ehemalige Säulensaal. Zu den erhaltenen Prunkräumen im linken Teil der Ballhausplatz-Front zählt der im Empirestil gehaltene Kongresssaal, dessen mit Stuccolustro verkleideten Wände mit vergoldeten Palmetten geschmückt sind. In der Decke befinden sich Lüftungsöffnungen, hinter denen Metternich angeblich Beamte positioniert hatte, die den Verhandlungen des Wiener Kongresses folgen konnten. Zu den originalen Einrichtungsgegenständen des Saales zählen zwei Marmorkamine sowie eine bemerkenswerte Uhr mit Bronzefiguren des Amors und einer Siegesgöttin. Weitere Bronzefiguren dienen als Leuchterhalter. Beim Grauen Ecksalon handelt es sich um den ehemaligen Kleinen Speisesaal. Neben seiner Stuckdecke sind auch die Uhren sowie die vergoldeten Luster, Kandelaber und Spiegelrahmen original. Der Große Ministerratssaal war einst der Große Speisesaal. Das hier hängende Porträt zeigt Kaiser Franz Joseph in jungen Jahren. Es wurde von Anton Einsle 1850 gemalt. Die Wände des Saales werden durch korinthische Pilaster gegliedert. Zwei Warmluftkamine in den Ecken tragen vergoldete, figural dekorierte Spiegelaufsätze. Auf den Großen Ministerratssaal folgen die ehemalige Bibliothek und das Arbeitszimmer Metternichs. Beide sind etwas einfacher gehalten. Die anschließenden vier Räume wurden 1881/82 in Neorokokoformen gestaltet. Die dem Hl. Nepomuk geweihte Hauskapelle liegt im Hochparterre. Sie zeigt sich, seit dem 1818 erfolgten Einzug einer Zwischendecke, als niederer quadratischer Raum. Ihr Altar dürfte aus dem Umkreis von Matthias Steinl stammen und um 1720 geschaffen worden sein. Das ursprüngliche Altarbild, das den Hl. Nepomuk darstellte, ist heute verschollen. Bei den Glasfenstern handelt es sich um Kopien spätgotischer Scheiben, die anlässlich der Restaurierungsarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Ballhausplatz 2

Besichtigung: mit Ausnahme des Staatsfeiertages (26. 10.) sowie von etwaigen Veranstaltungen nur von außen möglich

Homepage: www.austria.gv.at/site/3356/default.aspx


Weitere Literatur:


04.08.2008