WIENER PALAIS


Adressverzeichnis

Zeittafel






Deutschordenshaus


Das Deutschordenshaus wurde als Wiener Kommende des 1198 in Akkon gegründeten Deutschen Ordens unter Herzog Leopold VI in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts erbaut. Der Deutsche Orden war neben den Johannitern und den Templern der dritte große Ritterorden des Mittelalters. Herzog Leopold schenkte ihm das große Areal zwischen Stephansplatz, Churhausgasse, Singerstraße und Blutgasse. Urkundlich nachweisbar ist das Haus ab 1222. Hier residierte der Landkomtur der Ballei Österreich, zu der die Kommenden Wien, Wiener Neustadt, Graz, Friesach und Groß-Sonntag (Krain) gehörten. Beim großen Stadtbrand von 1258 brannten alle Ordensgebäude bis auf den Kirchturm ab. Im Mittelalter beschränkte sich der Komplex des Deutschordenshauses auf das Gebiet längs der Singerstraße und Blutgasse. 1309 tauschte der Orden einen Teil des Grundstücks, das zur Erweiterung des Stephan-Friedhofes benötigt wurde, gegen ein benachbartes Areal. Das weitläufige Gebäude hatte in seinem, dem Stephansplatz benachbarten Teil einen großen Wirtschaftshof, der von Pferdeställen umgeben war. Seit 1526 führte das Ordensoberhaupt den Titel „Hoch- und Deutschmeister“. Das berühmte Wiener Hausregiment gleichen Namens ist übrigens 1696 aus jenen Truppenkontigenten hervorgegangen, die der Orden für den Türkenkrieg gestellt hatte. Nach der ersten Wiener Türkenbelagerung wurden zahlreiche Bewohner der Vorstädte, deren Häuser niedergebrannt worden waren, hier untergebracht. Ab 1667 wurden die bereits baufälligen Gebäude mit Ausnahme der Kirche unter dem Landkomtur Gottfried Freiherr von Lambert niedergerissen und durch Carlo Canevale mit dreigeschossigen Neubauten versehen. Als Stukkateure wurden Jakob Schlag und Simon Alio erwähnt. 1679/82 vergrößerten Canevale und Johann Bernhard Ceresola die Anlage.

In den Jahren zwischen 1720 und 1725 wurde das Deutschordenshaus unter dem Landkomtur Guidobald Graf Starhemberg durch Anton Erhard Martinelli weiter ausgebaut und barockisiert. 1785 erhielt es unter Landkomtur Alois Graf Harrach durch Aufsetzen eines vierten Geschosses seine heutige Gestalt. Im 18. Jahrhundert richteten mehrere Brände große Schäden an. Vor allem jener von 1735 wütete drei Tage lang, da dem städtischen Löschpersonal von den Deutschordensrittern der Zutritt verwehrt wurde. Zu den prominenten Bewohnern des Deutschordenshauses, das im 18. und 19. zuerst auch als Gästehaus des Ordens diente und dann weitgehend vermietet wurde, zählten Wolfgang Amadeus Mozart (1781), Johannes Brahms (1863 – 1865) und der Lustspieldichter Cornelius Hermann Paul von Ayrenhoff. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde am Stephansplatz der Deutschordenskeller eröffnet. An seiner Stelle befand sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Restaurant „Deutsches Haus“. Seit 1809 ist das Deutschordenshaus Residenz des Hochmeisters des Deutschen Ordens. Bis dahin residierte dieser in Mergentheim. Ab 1864 ließ der Landkomtur Eugen Graf von Haugwitz die Kirche durch den Dombaumeister von Gran, Josef Lippert, teilweise regotisieren. Damals wurden am Giebel über den Kirchenfenstern die bereits schadhaften Fialen und Figuren entfernt. Lediglich das Hochmeisterwappen wurde belassen. 1929 wurde die Gemeinschaft der Deutschordensritter in einen rein geistlichen Orden umgewandelt. Er gehört zu den ganz wenigen kirchlichen Institutionen, deren oberste Leitung sich nicht in Rom befindet. Erster in Wien lebender Hochmeister war Erzherzog Anton Viktor (1804 – 1835).

Das Deutschordenshaus ist heute ein weitläufiger Baukomplex, der sich um zwei Innenhöfe gruppiert. Die Fassade an der Blutgasse ist die älteste. Jene an der Singerstraße entstammt dem 17. Jahrhundert. Sie stellt heute die Schauseite des Gebäudes dar. Die Fassadengliederung durch hochbarocke ionische Riesenpilaster erfolgte um 1720. Das Erdgeschoß ist genutet. Die beiden frühbarocken Rundbogenportale sind mit toskanischen Pilastern gerahmt. Die schlichten Fassaden der Innenhöfe sind im Stil des 17. Jahrhunderts gehalten. An der Westseite des fünfeckigen Innenhofes erkennt man im Erdgeschoß vermauerte Pfeilerarkaden sowie verglaste Pawlatschen aus dem 19. Jahrhundert im Obergeschoß. In den Höfen wurden verschiedene, 1903 aufgefundene Grabplatten aufgestellt. Die Erdgeschoßräume sind gewölbt, wobei frühbarocke Stichkappentonnen- und Kreuzgratgewölbe vorherrschen. Zu ihnen gehört die Sala terrena, ein mit einer flachen Kuppel gewölbter Zentralraum, der mit illusionistischen Wandmalereien des späten 18. Jahrhunderts geschmückt ist. Die Wand- und Deckenfresken zeigen mythologische Szenen sowie figurale Ornamente. Der Saal war einst durch ein Portal zum Garten hin geöffnet, doch wurde dieses später in ein Fenster umgearbeitet. Der Trakt zwischen Stephansplatz und Blutgasse umschließt zwei zweischiffige Hallen. Während das Kreuzgratgewölbe der einen auf stämmigen Pfeilern ruht, wird jenes der anderen durch toskanische Säulen gestützt. In den teilweise mit Rokoko- und Klassizismus-Stuckdecken versehenen Räumen des ersten Stocks befinden sich Bibliothek und Archiv des Ordens mit Urkunden und Büchern, die bis in das 12. Jahrhundert zurückreichen. Einige schön gearbeitete Holzschränke wurden vom Hoch- und Deutschmeister Erzherzog Eugen persönlich angefertigt. In der Schatzkammer im zweiten Obergeschoß sind neben Ordensinsignien und Gemälden u. a. Teile der Kunstkammer des Hochmeisters Erzherzog Maximilian III von Österreich aus der Zeit um 1600 ausgestellt.

Blickfang und Mittelpunkt des Traktes an der Singerstraße sind die drei hohen Spitzbogenfenster der Deutschordenskirche. Die erste Kapelle fiel bereits 1258 einem Stadtbrand zum Opfer. Ab 1326 wurde sie von Jörg von Schiffering durch einen Neubau ersetzt, der noch heute den Kern der Deutschordenskirche bildet. Damals stand diese aber noch an drei Seiten frei. 1375 wurde sie der Hl. Elisabeth geweiht. Guidobald Graf Starhemberg ließ die Kapelle 1720/22 im Barockstil umgestalten und an den beiden Längsseiten durch neu errichtete Ordenshäuser flankieren, wodurch die drei Kirchenfenster zum Mittelrisalit des Deutschordenshauses wurden. Vermutlich war auch Anton Erhard Martinelli an den Planungen beteiligt. Die durchaus gotisch wirkende Kirchenfassade ist ein schönes Beispiel der barocken Nachgotik des 18. Jahrhunderts und in Österreich einmalig. Bei der Regotisierung von 1864/68 wurde die Barockhaube des schmalen und hohen Turmes durch einen spitzen neugotischen Helm ersetzt. Nachdem die Kirche 1945 durch Bombentreffer schwer beschädigt wurde, erfolgte ihre Wiederherstellung 1946/47. Ihre Gewölbe besitzen gotisierende Stuckverzierungen. Beim Barockumbau wurden in den Ecken acht Emporen eingebaut, die von den dahinter befindlichen Wohnungen zugänglich sind. Der niederländische Flügelaltar (1520) stammt aus Mecheln, befand sich aber bis 1864 in der Danziger Marienkirche. Das Hochaltarbild wurde 1667 von Tobias Pock geschaffen. In den vier Raumecken ersetzen Evangelistenstatuen von Johann Hutter (1864) die verschollenen Skulpturen von Giovanni Giuliani aus dem Jahr 1721. An den Wänden hängen mehrere Grabplatten, darunter ein Epitaph des Gelehrten Johannes Cuspinian (1515) und das von Jakob Schletterer geschaffene Grabdenkmal des Landkomturs Josef Philipp Graf Harrach. Die meisten der über achtzig Wappenschilder von Deutschordensrittern, die den oberen Teil der Wände bedecken, wurden von Johann Andreas Frank um 1722 gestaltet.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Singerstraße 7

Besichtigung: mit Ausnahme der Kirche und des Museums nur von außen möglich

Homepage: www.deutscher-orden.at


Weitere Literatur:


01.02.2008