BURG DES MONATS






Wien - Neugebäude


Das Neugebäude ist Wiens einziges Renaissanceschloß. 1568 gab Kaiser Maximilian II den Auftrag, in der Nähe des kaiserlichen Sommersitzes im heutigen Kaiserebersdorf weitläufige Gärten und in deren Mitte ein Lustschloss zu errichten. Im Gegensatz zum alten Schloss in Ebersdorf wurde die Anlage später Neugebäude genannt. Die Großzügigkeit dieser „Villa suburbana“ lässt sich noch an den Stichen von Merian (1649) und Delsenbach (um 1715) ermessen. Zeitgenossen bezeichneten das Neugebäude als das bedeutendste Beispiel einer Renaissancevilla nördlich der Alpen. Die besten Künstler ihrer Zeit waren hier tätig. Das Konzept der Gesamtanlage geht möglicherweise auf Jacopo da Strada zurück. Der niederländische Bildhauer Alexander Colin schuf zwei große Springbrunnen aus weißem Marmor. Das Hauptaugenmerk des Kaisers galt den manieristischen Gärten, für die der Botaniker Charles de Lecluse, der als Clusius besser bekannt ist, seltene Pflanzen wie Flieder aus Persien oder Kastanien aus der Türkei nach Wien brachte. Die Früchte der hier angelegten Obstgärten wurden an der kaiserlichen Tafel in Wien und später in Prag serviert. Neben heimischen Sorten wuchsen hier auch südländische Gewächse wie Feigen, Zitrusfrüchte und Artischocken. An die Gartenanlage schloss im Osten die Menagerie mit dem sog. Löwenhof an. Es war der erste exotische Tiergarten nördlich der Alpen. Über das eigentliche Schloss gibt es aus der Bauzeit nur wenige schriftliche Nachrichten. Als Maximilian II 1576 plötzlich starb, hinterließ er eine Großbaustelle. Die Arbeiten gerieten bald ins Stocken. Da sein Sohn und Nachfolger, Rudolf II, seine Residenz nach Prag verlegte, verlor er das Interesse an der Vollendung des aufwändigen Gesamtkunstwerkes. Immerhin wurde das Äußere des Hauptgebäudes bis 1587 durch Pietro Ferrabosco fertig gestellt. Auch die Umfassungsmauer des äußeren Gartens entstand unter Rudolf II. Die Innenausstattung wurde aber nicht mehr in Angriff genommen. Rudolfs Bruder, Matthias, liebte die Gärten des Neugebäudes sehr und veranstaltete hier häufig Festlichkeiten für die Hofgesellschaft.

1607 übersiedelte man die Tiere aus der Menagerie des Schlosses Ebersdorf ins Neugebäude. Unter Ferdinand II und Ferdinand III wurde 1622 bis 1633 bzw. 1637 bis 1644 das durch Baumängel bereits etwas ramponierte Gebäude wiederhergestellt. Der 1637 als Verwalter bestellte Johann Matthias von Traunholz richtete auf eigene Kosten die Kapelle ein. Er stiftete drei Altäre, vier Bilder und eine Monstranz. 1683 wurden die vier Türme des inneren Lustgartens abgerissen. Die Wiener Türkenbelagerung überstand das Schloss ohne größere Zerstörungen. Es diente als Nachschublager der Truppen Kara Mustafas. Die Kuruzzen gingen 1704 nicht so rücksichtsvoll mit dem Neugebäude um. Sie zerstörten die Menagerie und töteten die Tiere. Danach wurde das Schloss wieder instand gesetzt, konnte aber seinen früheren Glanz nicht mehr zurückgewinnen. Auch der Tiergarten wurde unter Karl VI neu aufgebaut. 1736 bekam er sogar Zuwachs, da die Tiere aus der Menagerie des Prinzen Eugen vom Belvedere ins Neugebäude verlegt wurden. Kaiserin Maria Theresia schätzte das Neugebäude nicht besonders. Sie bevorzugte Schönbrunn und verfügte 1752 die Übersiedlung der Tiere in den neu gegründeten Schönbrunner Tiergarten. Nach der katastrophalen Explosion des Pulverturmes an der Nußdorfer Linie verwandelte man die zehn Türme der Umfassungsmauer des äußeren Gartens in Pulvermagazine und überließ die gesamte Anlage dem Militär, das hier eine Artillerieversuchsstation einrichtete. Die Gartenanlagen wurden aufgegeben. Auf Anordnung Maria Theresias wurden 1775 die monumentale Säulengalerie des Hauptgebäudes sowie zahlreiche andere Architekturelemente abgebaut und nach Schönbrunn transportiert. Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg benutzte das willkommene Baumaterial zur Errichtung der Gloriette und der Römischen Ruine. Anstelle der einstigen Galerien wurden damals die mächtigen Pultdächer errichtet, die heute die Proportionen des Baues empfindlich beeinträchtigen. An der Hofseite wurden im Auftrag des Militärs fast alle Fensteröffnungen zugemauert.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurden Stimmen laut, die den Abbruch des Neugebäudes forderten. 1909 erwarb die Gemeinde Wien das Areal und benutzte es vorerst für Lagerzwecke. Das Pulvermagazin wurde aber erst 1918 geräumt. 1922/23 ließ die Stadt entgegen den Einwänden des Denkmalamtes und der Regierung auf dem Areal des südlichen Lustgartens durch den Architekten Clemens Holzmeister das Krematorium errichten. Holzmeister ließ sich dabei zwar von den Bauformen des Neugebäudes inspirieren, machte aber mit seinem Werk eine spätere Revitalisierung der Gesamtanlage unmöglich. Da auch der nordseitige Garten mit dem großen Teich längst verschwunden war, blieb von der einst äußerst prächtigen Schlossanlage nur mehr das devastierte Hauptgebäude über. In seinem Untergeschoß wurde 1943/45 eine Filiale der Saurerwerke zur Erzeugung von Panzermotoren eingerichtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedelten sich weitere Betriebe auf dem Gelände an. 1967/69 wurde das Krematorium erweitert. Ab der 80er Jahre des 20. Jh. gab es immer wieder Pläne zur Restaurierung des Neugebäudes, doch scheiterten diese immer an den enormen Kosten. Außerdem ist die originale Ausstattung weitgehend unbekannt. Ein neuer Verwendungszweck hat sich bis jetzt auch noch nicht gefunden. Das Neugebäude strömt derzeit nach wie vor den Charme einer ostgalizischen Kolchose aus, doch gibt es zaghafte Anzeichen einer Verbesserung. So wurden in den letzten beiden Jahren die Dächer ausgebessert, der Hof gerodet und die Gewerbebetriebe abgesiedelt. Seit 2003 finden kulturelle Veranstaltungen und Führungen statt. Außerdem hat sich im Hof ein Freiluftkino etabliert. In den letzten Jahren hat sich viel getan aber eine endgültige Rettung ist noch nicht abzusehen.

Obwohl das Gelände des Neugebäudes zu Allerheiligen von tausenden Menschen besucht wird und die Anlage einst eine Sehenswürdigkeit von europäischem Rang war, gehört sie zu jenen kaiserlichen Schlössern, die längst aus dem Bewusstsein der meisten Wiener verschwunden sind. Das Areal bestand im wesentlichen aus drei Teilen. Der bis zur Simmeringer Hauptstraße reichende Südteil bestand aus dem „oberen Baumgarten“ und dem von ihm eingeschlossenen, mit Blumen und Sträuchern bepflanzten Lustgarten. Beide Gärten werden heute von den Gräbern und Urnenhainen des Krematoriums eingenommen. Erhalten hat sich die turmbewehrte und zinnengeschmückte äußere Umfassungsmauer. Sie ist rund 1,5 km lang und über fünf Meter hoch. Ihre zehn zylindrischen Türme dienen heute der Friedhofsverwaltung als Depot. Die Kegeldächer sind nicht mehr original. Der Verwaltungsbau beim Eingang war einst die Pumpstation für die kunstvollen Wasserwerke des Gartens. Dieses Gebäude hat noch sein ursprüngliches Aussehen bewahrt. Der einst von vier Türmen umgebene Lustgarten ist nur mehr im Geländeniveau hinter der heutigen Feuerhalle erkennbar. Im Norden reichte der Gartenbereich bis an die heutige Kaiserebersdorfer Straße. Er bestand aus einem schmalen Baumgarten, an den der untere Blumengarten anschloss, der bis zum einstigen Weiher reichte. Dieses Gebiet wird heute landwirtschaftlich genutzt und droht der Verstädterung zum Opfer zu fallen. Neue Wohnbauten sind bereits bedenklich nahe gerückt.

Zwischen diesen beiden großen ehemaligen Gartenbereichen liegt das eigentliche Schloss. Das Hauptgebäude ist ein 183 m langer und bis zu 14 m breiter Baukörper, der aus einem Erdgeschoß und einem wesentlich höheren Hauptgeschoß besteht. Auf dem ehemaligen Flachdach befand sich eine Aussichtsterrasse, auf der man lustwandeln und in die Donauauen blicken konnte. Die lange Front ist fünffach gegliedert. Zu beiden Seiten des Mittelrisalites sind Seitenflügel angeordnet, die von zwei Türmen begrenzt werden. An der Südmauer des Westtraktes sind im Inneren noch Reste eines Bukranionfrieses vorhanden, der die Lage des einstigen Arkadenganges anzeigt. Vom Norden her gelangte man über zwei Reiterrampen, die auch für kleinere Wagen geeignet waren, in das Schloss. Im Erdgeschoß führen Gänge zu den langen gewölbten „Schönen Sälen“, in denen das alte, ornamental angeordnete Ziegelpflaster noch erhalten ist. Die Räume in den Endtürmen sind grottenartig gestaltet. Im westlichen Raum wird die Decke von sechs starken Pfeilern getragen. Man nimmt an, dass die Räume des Untergeschosses zur Aufnahme der Skulpturensammlung Maximilians II gedacht waren. Das Hauptgeschoß ist ähnlich gegliedert wie das Erdgeschoß. Es ist nur von der Hofseite aus direkt zugänglich. Beide Geschosse sind lediglich durch schmale Wendeltreppen verbunden. Dafür hatte man von jedem Geschoß Zugang ins Freie. Über den Schönen Sälen befanden sich Galerien, über der westlichen Grotte der „Spaziersaal“ und über der östlichen Grotte die Kapelle. Die Nebengebäude, wie der ehemalige Löwenhof, das Ballhaus und die Stallungen sind baulich noch erhalten und rekonstruierbar. Die äußere Mauer des Löwenhofes ist mit einer Bogenreihe geziert. In der Mitte der großen Bogen waren einst Öffnungen eingelassen, die heute vermauert sind.

Ort/Adresse: 1110 Wien, Neugebäudestraße

Besichtigung: Seit 2003 sind Führungen vorgesehen. Der Hof soll im heurigen Sommer an Wochentagen von 17.00 bis 24.00 und am Wochenende von 15.00 bis 24.00 geöffnet sein.

Homepage: http://future.at/neugebaeude/


Weitere Literatur:


29.05.2003