BURG DES MONATS






Palais Ferstel


Als Palais wird üblicherweise der aufwendig gestaltete städtische Wohnsitz eines Adeligen bezeichnet. Reiche oder prominente Bürger als Eigentümer können gerade noch toleriert werden. Nach dieser Definition ist das Wiener Palais Ferstel, das sich zwischen der Herrengasse und der Freyung erstreckt, streng genommen kein Palais, da es nicht als Wohnstätte erbaut und später ebenfalls nicht bewohnt wurde. Seinen Namen hat es auch nicht von seinem Bauherrn sondern von seinem Baumeister. Allerdings befanden sich zuvor an seiner Stelle mehrere Bauten adeliger Familien. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts hatte hier Graf Nikolaus Zrinyi seinen Wiener Stadtsitz. Er war Ban von Kroatien und zeichnete sich als Feldherr in den Türkenkriegen mehrfach aus. 1651 erwarb Graf Ernst Abensperg-Traun, der Herr von Maissau, Zrinyis Haus und verband es mit einem benachbarten Gebäude, das sich bereits in seinem Besitz befand. Es entstand ein neues Palais, als dessen Architekten Giovanni Pietro Tencalla und Filiberto Lucchese vermutet werden. Es fiel aber 1683 einem Großfeuer zum Opfer. Das ab 1700 an seiner Stelle errichtete Abensperg-Traunsche Palais blieb bis 1855 im Besitz der Familie. Damals verkaufte es Reichsgraf Franz Xaver Abensperg-Traun an die k. k. privilegierte Nationalbank, die sich ab 1878 Österreichisch-Ungarische Bank nannte. Sie benötigte aber kein Palais sondern ein repräsentatives Verwaltungsgebäude, in dem auch ein Börsensaal untergebracht werden sollte. Das Abensperg-Traunsche Palais wurde daher abgerissen und ein Ideenwettbewerb für den Neubau ausgeschrieben. Diesen gewann der erst 27 Jahre alte Heinrich Ferstel, der auch mit der Ausführung seines Planes beauftragt wurde. Es war Ferstels profanes Erstlingswerk und der Beginn seiner Karriere. Auf dem äußerst unregelmäßigen Baugrund entstand ein Gebäude, das neben der Notenbank und der Börse auch ein Kaffeehaus und eine als Basar bezeichnete Geschäftspassage enthielt. Sowohl beim Äußeren als auch im Inneren wurden nur erstklassige Materialien verwendet. Wie bei einem Adelspalais wurden die Säle mit Holzvertäfelungen, Ledertapeten und Kunstmarmor-Wandverkleidungen ausgestaltet. Die schmiedeeisernen Gittertore, die den Ausgang an der Freyung versperren konnten, wurden ursprünglich bei einem Schlosser in Auftrag gegeben, doch war Ferstel damit nicht zufrieden. Daher wurden die damit verbundenen Arbeiten einem Silberschmied übertragen.

1860 war das Gebäude soweit fertig, dass es benutzt werden konnte, doch erst im nächsten Jahr wurde der elegante Brunnen im Vestibül an der Herrengasse aufgestellt. Der Baugrund war jedoch für die Bedürfnisse der Notenbank der Monarchie von vornherein ungeeignet und zu klein. Daran konnte auch Ferstel nichts ändern. Trotz der gewaltigen Kosten von nahezu 2 Millionen Gulden musste 1897 auch das Nachbarhaus Freyung 1, das ehemalige Palais Hardegg, angekauft und für Bürozwecke adaptiert werden. Es nützte auch nichts, dass Ferstels Glanzstück, die Geschäftspassage, für den Publikumsverkehr gesperrt und durch Mauern unterteilt wurde. Zweckentfremdet wurde sie der Hausdruckerei zur Verfügung gestellt. Schließlich bezog die Bank ihr heutiges Domizil am Otto-Wagner Platz. Damit war das Wanderdasein der Notenbank, das ursprünglich in der Singerstraße 17 – 19 begonnen hatte und vor dem Palais Ferstel auch das Haus Herrengasse 17 umfasst hatte, bis heute beendet. Die Börse war bereits 1869 auf den Schottenring übersiedelt. Der Große Börsensaal diente zwischen 1877 und 1911 als Militärkasino. Mit dem Auszug der Nationalbank begann der Verfall des Gebäudes. Ab 1925 stand es weitgehend leer. 1943 wurde auch das Café Central geschlossen. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Palais durch Bombentreffer und andere Kriegseinwirkungen umfangreiche Schäden. Eindringendes Regenwasser zerstörte große Teile der malerischen Ausstattung, die u. a. von Carl Geiger stammte. Vor allem die Stuckdecken und die Kunstmarmor-Wandverkleidungen waren durch die Verwendung von Gips davon betroffen. In der Nachkriegszeit überlegte man sogar einen Totalabriss des Gebäudes und einen Neubau. In den 1960er Jahren wurde der ehemalige Börsensaal als Basketballhalle verwendet. Glücklicherweise kam es in den Jahren von 1978 bis 1986 zu einer umfangreichen Restaurierung. Bei dieser Gelegenheit wurde das benachbarte Palais Hardegg in allen Geschossen durch Durchbrüche mit dem Palais Ferstel verbunden, so dass hier die benötigten Büro- und Technikräume untergebracht werden konnten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehörte das Palais Ferstel zum Immobilienbesitz der Creditanstalt-Bankverein, die zum größten Teil für die Kosten der Revitalisierung des Palais aufkam. Seit 2002 gehört es einer Privatstiftung des Billa-Gründers und ehemaligen Immobilien-Großinvestors Karl Wlaschek, der sich um die Sanierung mehrerer Wiener Innenstadt-Palais verdient gemacht hat. Seit der Außenrenovierung von 2001/02 erstrahlt das Palais wieder im alten Glanz.

Das Palais Ferstel ist das wichtigste Spätwerk des Romantischen Historismus in Wien und zugleich der letzte Monumentalbau vor der Ringstraßenepoche. Beim Bau benutzte Ferstel romanisierende, gotisierende und maurisch angehauchte Stilelemente, aber auch solche, die an die venezianische und Florentinische Frührenaissance erinnern. Anderseits war der Architekt bei der Bautechnik durchaus modern. Er benützte erstmals gewalzte Eisenträger für die Gestaltung der Gewölbe und Glaskuppeln. Das dreigeschossige Gebäude wurde außen mit St. Margarethener Kalkstein verkleidet. Es weist drei reich verzierte Fassaden auf. Die meisten Fenster des Gebäudes sind rundbogig. Die kleinste Fassade zeigt nur drei Achsen. Sie ist gegen die Freyung gerichtet. Durch ihre kreuzrippengewölbte Bogenhalle gelangt man in die lange Geschäftspassage, die sich fast bis zur Herrengasse erstreckt. Über dem in drei großen Bogen aufgelösten Erdgeschoß springt ein auf Konsolen ruhender Balkon vor, dessen durchbrochene Balustrade über die gesamte Front verläuft. Er war durch die Kriegsereignisse völlig zerstört und musste 1975 rekonstruiert werden. Über den Fenstern des zweiten Obergeschosses sind die Wappen des Kaiserreiches und der einzelnen Kronländer angebracht. Eine Attikabalustrade schließt über dem üppigen Konsolgesims die Fassade nach oben hin ab. Die Front zur Strauchgasse weist zwölf Fenster auf, wobei jeweils drei zwecks besserer Gliederung durch vortretende Pfeiler, die über alle Geschosse gehen, zusammengefasst werden. Die abgeschrägten Ecke im Süden ist besonders repräsentativ gehalten. In ihrem Erdgeschoß liegt der von schmiedeeisernen Laternen flankierte rundbogige Eingang zum Café Central. Darüber springt die durchbrochene Balustrade eines Balkons leicht vor, die über neun Achsen auch die ersten drei Fenster in der Herrengasse und der Strauchgasse verbindet. Über diesen Fenstern symbolisieren zwölf Statuen von Hanns Gasser die Völker der Monarchie. Auch bei der langen Fassade zur Herrengasse sind die Rundbogenfenster in Dreiergruppen aufgeteilt. Die einzigen rechteckigen Fenster des Gebäudes befinden sich im dritten Stock der Herrengassenfront. Bei den dahinter liegenden Räumen dürfte es sich um schlichte Büroräume gehandelt haben. Der dreibogige Eingang zur Passage macht einen maurischen Eindruck.

Der bei ausländischen Gästen, aber auch bei den Wienern heute beliebteste Teil des Palais Ferstel ist zweifellos das Café Central an der Ecke Strauchgasse/Herrengasse. Es wurde 1876 in der ehemaligen Schalterhalle der Wiener Börse eröffnet. Vor allem nach dem 1897 erfolgten Abriss des Cafés Griensteidl wurde das „Central“ zum Treffpunkt der Wiener Schriftsteller und anderer Bohemiens. Vor dem Ersten Weltkrieg verkehrten hier Karl Kraus, Hermann Bahr, Felix Salten, Peter Altenberg und andere Größen des literarischen Wien. Aber auch Exilpolitiker waren hier anzutreffen, wie Leo Trotztki, der vor allem das Schachzimmer frequentierte. Ab 1914 musste das Café sich seine illustre Kundschaft mit dem benachbarten Café Herrenhof teilen. Wer heute das Lokal betritt, wird von einer lebensgroßen Pappmaché-Figur Peter Altenbergs im Eingangsbereich begrüßt. Die Räumlichkeiten des Kaffeehauses bestehen aus einer dreijochigen kreuzrippengewölbten Säulenhalle und einem zwölfeckigen Zentralraum. Die rotgerahmten Stuccolustro-Wandfelder sind in grau gehalten. Wie die meisten Wandverkleidungen aus Kunstmarmor, wurden auch diese in der Wiener Werkstätte des italienischen Stuck-Künstlers Anton Detoma hergestellt. Beim darüber liegenden Großen Ferstelsaal handelt es sich um den ehemaligen Börsesaal, der das erste und zweite Obergeschoß einnimmt. Im Gegensatz zu den meisten Festsälen in Österreich verfügt er nach englischem Vorbild über ein offenes Sparrendach, das bemalt und mit Karyatiden sowie hängenden Zapfen verziert ist. Auf den Kartuschen der als Greifen ausgebildeten Konsolen erkennt man die Wappen der ehemaligen Kronländer. Zwischen dem ersten und dem zweiten Geschoß springt eine umlaufende Galerie vor, deren Konsolen mit Charakterköpfen verziert sind. Die schmiedeeisernen Balkongitter sind zum Teil vergoldet. Beim an den Großen Ferstelsaal angrenzenden Kleinen Ferstelsaal handelt es sich um den Saal der ehemaligen Warenbörse. Er zeigt eine stuckierte Balkendecke, ist aber etwas schlichter ausgestattet.

Die Räume der Österreichisch-Ungarischen Bank betrat man von der Herrengasse aus. Hier führt eine vierschiffige, dreijochige, kreuzrippengewölbte Pfeilerhalle in den sechseckigen Innenhof. Der florale Deckenschmuck der Halle wird durch eine Gusseisenlaterne beleuchtet. In der Mitte des glasgedeckten Arkadenhofes steht der hübsche Donaunixenbrunnen. Er besteht aus einem marmornen Brunnenbecken, über dem sich auf einer Säule die von Anton Dominik Fernkorn gegossene Bronzefigur einer Donaunixe erhebt. Sie hat einen Fisch in der Hand. Darunter schmiegen sich an die Säule die Bronzefiguren eines Fischers, eines Kaufmannes und eines Schiffbauers. Aus dem Becken tauchen drei Nixen auf, über denen drei Wasservögel als Wasserspeier dienen. Anschließend gelangt man in die zur Freyung führende Geschäftspassage. Als Vorbild dienten Ferstel die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in London (z. B. Burlington Arcade) und anderen englischen Städten aufgekommenen Geschäftspassagen, in denen sich meist qualitativ hochwertige und hochpreisige Geschäfte ansiedelten. Die Passage ist alternierend mit Kreuzgratgewölben und segmentbogenförmigen Glasdächern gedeckt. Die acht bronzenen Karyatiden und Hermen, die die eisernen Träger des Glasdaches zu stützen scheinen, stammen ebenfalls von Anton Dominik Fernkorn. Qualitativ beachtlich sind die Schmiedeeisengitter der Lünettenfenster der Geschäftsportale. In den reich stuckierten und bemalten Arkaden ist neben mehreren Geschäften auch ein Restaurant untergebracht. Vom Sechseckhof gelangt man auch in das repräsentative Herz der einstigen Österreichisch-Ungarischen Bank, dem sog. Wintergarten mit der monumentalen Prunktreppe. Allerdings ist derzeit der Zugang hier meist nicht möglich. Es gibt ein eigenes Vestibül, zu dem ein dreiteiliges Portal an der Herrengasse führt, das aber nur bei Veranstaltungen in den einstigen Repräsentationsräumen geöffnet wird. Der ehemalige Generalrats-Sitzungssaal der Bank liegt im zweiten Obergeschoß über dem Kleinen Ferstelsaal. Er dient heute als Festsaal. Seine kassettierte Holzvertäfelung sowie die darüber angebrachten ornamentierten Ledertapeten stellen eine exquisite Wandverkleidung dar. Auch die sonstige Ausstattung mit den Gemälden von Josef Gasser und Franz Dobyaschofsky war den hier tagenden Bankdirektoren angemessen. An der Holzbalkendecke sind die Wappen der einstigen Kronländer angebracht. Ein weiterer Festsaal ist der Marmorsaal, in dem zwar kaum echter Marmor zu finden ist, dafür jede Menge farbiger Stuckmarmor. Die weißen Reliefs in der cremefarbigen Stuckkassettendecke sind ein Werk von Franz Melnitzky. Wer heute Gelegenheit hat, das Palais Ferstel zu besichtigen, erkennt, dass Abrissvorschläge auch der namhaftesten Architekten mit großer Vorsicht zu betrachten sind. Wien ist schon um so manches Baujuwel ärmer geworden, weil man sie befolgt hat.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Freyung 2/Herrengasse 14

Besichtigung: weitgehend möglich


Weitere Literatur:


07.06.2018