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Oberstockstall


Der als „homo nobilis“ bezeichnete Sihegard de Stochestale scheint 1160 erstmals urkundlich auf. Er dürfte ein Passauer Domherr gewesen sein und um 1163 hier einen Zehenthof gegründet haben. Die Herren von Stockstall werden bis 1296 mehrfach erwähnt, doch ist es nicht sicher, ob sie auf Oberstockstall saßen, da dieses als „superior Stokstal“ erst 1342 bezeichnet wurde. Der Sitz dürfte aber schon im 13. Jahrhundert für damalige Verhältnisse recht wohnlich gewesen sein, da bereits 1266 in Stockstall von einer Badestube berichtet wird. Die große Kapelle im Hof wird erstmals 1327 im Testament des Domherrn Rudger genannt. Christoph von Trenbeck, ebenfalls ein Passauer Domherr, ließ um 1548 den mittelalterlichen Bau im Renaissancestil zum Herrschaftssitz ausbauen. Er war bis 1552 Pfarrherr von Kirchberg am Wagram und Oberstockstall, betätigte sich in dieser Zeit aber auch als eifriger Alchemist. Über seine Erfolge wird nichts berichtet, doch dürften sich diese in Grenzen gehalten haben, da er hochverschuldet starb. Sowohl Christophs jüngerer Bruder und Nachfolger, Ulrich von Trenbeck als auch die folgenden Pfandherren, die Brüder Viktor August und Siegmund Friedrich Fugger, setzten vermutlich die Alchemistentätigkeit auf Oberstockstall fort. 1980 wurde durch Zufall in einem Nebengebäude des Schlosses das Inventar eines Alchemistenlaboratoriums entdeckt. Es befand sich in einem Raum unterhalb des Fußbodens und dürfte dort nach der Aufgabe der Versuche entsorgt worden sein. Insgesamt 870 Utensilien konnten geborgen werden.1590 richtete das berüchtigte Neulengbacher Erdbeben auch in Oberstockstall große Schäden an. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde das Schloss restauriert und nach Norden hin verlängert. Im 18. Jahrhundert verwaltete das Passauer Domkapitel von hier aus seine Güter in der Nachbarschaft. Nach der Säkularisierung kam das Schloss in Staatsbesitz. Von 1860 bis 1869 gehörte es der Oesterreichischen Nationalbank. Dann wurde es von der Familie Salomon erworben, die heute in einem Nebengebäude ein Hauben-Restaurant betreibt. Die 1993/94 durch einen weiteren Fund bereicherte Alchemistenausstattung ist im Alten Rathaus von Kirchberg am Wagram ausgestellt und kann dort jeden Samstag von 14.00 bis 17.00 besichtigt werden.

Das Schloss liegt am südlichen Ortsrand von Oberstockstall. Mit seiner Ausdehung von ca. 150 x 60 m, die vorwiegend auf die umfangreichen Wirtschaftsgebäude zurückzuführen ist, ist es als Sitz einer großen Gutsverwaltung erkenntlich. Bemerkenswert ist die quer zum Wohntrakt stehende stattliche gotische Schlosskapelle. Sie wurde wohl um 1310/20 errichtet. Ihre Fronten werden durch schlanke gestufte Strebepfeiler und hohe Maßwerkfenster gegliedert. An Stelle eines Turmes trägt ihr hohes Satteldach einen hölzernen Dachreiter mit Zwiebelhelm. Neben dem spitzbogigen Portal springt aus der Wand ein gotisches, mit grotesken Masken verziertes Weihwasserbecken vor. Das Kreuzrippengewölbe teilt das Innere in drei Joche. Die runden Schlusssteine zeigen Vogelreliefs. An der Westseite befand sich eine Empore, die aber später abgetragen wurde. Von den Wandmalereien aus dem 14. und 15. Jahrhundert haben sich nur mehr Reste erhalten. Ein Hl. Christophorus ist noch zu erkennen. Der Hochaltar stammt aus dem Jahr 1652. Sein Gemälde zeigt den Guten Hirten, das ovale Aufsatzbild Maria Himmelfahrt. Im Westen schließt an die Kapelle ein Rechteckbau an, der als „Schüttkasten“ bezeichnet wird, obwohl er ursprünglich Wohnzwecken diente, wie die beiden mit Mittelpfosten und profilierten Gewänden ausgestatteten spätgotischen Fenster im Oberstock beweisen. Ein an die Kirche unmittelbar anschließender Getreidespeicher wäre damals auch unüblich gewesen.

Dieser Bruchsteinbau geht im Kern wohl auf das 14. Jahrhundert zurück, wurde aber offenbar im Zuge des Schlossausbaues von 1548 umgebaut. An seiner Nordseite erkennt man ein vermauertes Schulterbogenportal. In der Südostecke dieses Gebäudes befand sich ein zweigeschossiger feuersicherer Raum der den Alchemisten als Laboratorium diente. Die Westseite des Hofes wird vom dreigeschossigen Wohnflügel eingenommen. Auch er geht auf Christoph von Trenbeck zurück, wurde aber im 17. Jahrhundert mehrfach umgestaltet. Hofseitig fällt an ihm vor allem der runde Treppenturm auf, der die einzelnen Stockwerke erschließt. Oberhalb des Einganges ist die Jahreszahl „1548“ zu erkennen. Im Inneren des Westflügels haben sich einige Renaissanceportale sowie ein wiederverwendetes gotisches Schulterbogenportal erhalten. Ein tonnengewölbter Raum im ersten Stock weist eine Stuckdecke aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf. Der zweigeschossige Nordtrakt wird zum Teil wirtschaftlich genutzt, zum Teil dient er Wohnzwecken. Sein Obergeschoß ist über eine hofseitige Freitreppe zugänglich. Durch seinen, auf pfeilergestützten Bögen ruhenden, offenen Gang wirkt dieser Bauteil recht malerisch. In der Nordostecke des Hofes liegt der zweigeschossige Torbau. Seine Kanten sind mit gemalten Ortsteinquaderungen verziert. Der eingeschossige Osttrakt wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Restaurant umgebaut.

Lage: Niederösterreich/Weinviertel – ca. 20 km nordwestlich von Tulln

Besichtigung: auf Anfrage möglich


Weitere Literatur:


13.12.2007