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Raabs


Raabs zählt zu den ältesten Steinburgen Österreichs. Vermutlich stand hier bereits zur Zeit der Karolinger ein hölzerner Wehrbau zur Sicherung eines uralten Handelsweges. Im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts wurde die Anlage aber bereits als Steinburg ausgebaut. 1074 wird Raabs erstmals urkundlich erwähnt. Burg und Stadt waren für die Kolonisierung des nördlichen Waldviertels von entscheidender Bedeutung. Konrad I von Raabs, zugleich Burggraf von Nürnberg, besiedelte von hier aus mit bayerisch-schwäbischen Siedlern das gesamte Gebiet. Die Herren von Raabs gehörten zum österreichischen Hochadel und zählten zu den mächtigsten Familien des Landes. Gemeinsam mit Drosendorf, Hardegg, Kaja, Kollmitz und Eibenstein bildete die Burg einen starken Festungsgürtel gegen Böhmen. Sie war damals ein „Festes Haus“ mit einer Grundfläche von ca. 21 x 12 Meter. Es ist zwar noch erhalten, aber von außen nicht sichtbar, da es in den späteren Schlossbau völlig integriert wurde. In der Chronica Bohemorum wird Raabs um 1100 als „castrum Racouz“ bezeichnet. Damals wurde die Burg von Herzog Bretislav von Mähren sechs Wochen lang belagert, da mährische Verwandte des rechtmäßigen Burgherrn Gottfried von Racouz diese besetzt gehalten hatten. In Tschechisch wird Österreich heute noch „Rakousko“ genannt, was soviel bedeutet wie „das Land hinter Raabs“. Raabs war im 12. Jahrhundert eine reichsunmittelbare Grafschaft. Als die Grafen von Raabs und Burggrafen von Nürnberg mit Graf Konrad der Jüngere um 1192 im Mannesstamm ausstarben, erhielt dessen Tochter Sophie den östlichen und nördlichen Teil der Grafschaft bis Dobersberg, den Markt Raabs sowie Besitzungen in Franken. Sie war mit dem schwäbischen Grafen Friedrich von Zollern verheiratet und ist die Stammmutter der Hohenzollern bzw. der späteren preußischen Könige und deutschen Kaiser. Der westliche Teil der Grafschaft bis Litschau und Heidenreichstein sowie die Burg Raabs bekam ihre jüngere Schwester Agnes, die Graf Gebhart von Hirschberg-Tallenstein heiratete.

Nach dem Tod Friedrichs von Zollern um 1200 verkaufte dessen Sohn Konrad seinen Anteil an der Herrschaft an den Babenberger Herzog Leopold VI. 1260 erhielt Peter Wok von Rosenberg, ein Günstling von König Ottokar II, die Grafschaft, doch mussten seine Söhne Heinrich und Wittiko die Burg 1282 an die Habsburger abtreten, nachdem König Rudolf bereits 1278 einen großen Teil der Grafschaft eingezogen hatte. Raabs hatte zuvor dem böhmischen König als Stützpunkt gedient. Die Burg wurde als Lehen an die Brüder Leutold und Heinrich von Kuenring vergeben, während ein Jahr später die Herrschaft an Stephan von Maissau verpfändet wurde. 1297 befand sich auch die Burg in den Händen der Maissauer. 1358 löste Albero III von Puchheim den Maissauer Pfandbesitz ab und übernahm Raabs zuerst ebenfalls als Pfand und dann als Lehen. Noch 1386 führte aber Herzog Rudolf IV, der Stifter unter anderem auch den Titel „Graf zu Ragtz“. Es gelang den Puchheimern, ihre Besitzungen deutlich zu vergrößern. So wurde 1362 das Gut Pommersdorf erworben. Um 1385 überfiel und eroberte der böhmische Adelige Nikolaus von Ostrowa die Burg, doch musste sie dieser nach einer Belagerung durch die Puchheimer wieder an diese zurückgeben. Alberos Nachfolger gaben der Burg weitgehend ihr heutiges Aussehen. Sie ließen im 14. und 15. Jahrhundert das Feste Haus der Herren von Raabs mit einer Ringmauer umgeben und spätgotische Erweiterungen durchführen. Die Herren von Puchheim waren sehr selbstbewusst. Georg von Puchheim plünderte 1453 sogar die Güter des Kaisers Friedrich III, um sich für vermeintliche Schulden seine Majestät an ihn schadlos zu halten. Er hatte den Kaiser während dessen Reise nach Rom als Regent in Nieder- und Oberösterreich vertreten und ihm danach eine Rechnung in astronomischer Höhe vorgelegt, die der ständig an Geldnot leidende Friedrich III nicht bezahlen konnte. Diese Vorgangsweise scheint uns heute sehr brutal und rücksichtslos, war aber durch das damalige Fehderecht gedeckt. Georgs Vetter, Friedrich Wilhelm von Puchheim, überfiel sogar die Gemahlin des Kaisers, Eleonore von Portugal, als diese mit ihrem Gefolge durchs Helenental fuhr.

Im 16. und 17. Jahrhundert bekam die alte Burg mehr und mehr den Charakter eines Schlosses. 1591 wurde der damalige Burgherr, Niklas Freiherr von Puchheim, im Burghof durch seinen Gutsnachbarn, Adam Freiherr von Hofkirchen, ermordet. Sein Sohn, Georg Ehrenreich, war maßgeblich an der Niederschlagung des Bauernaufstandes von 1597 beteiligt. Der Anführer des Allentsteiger Aufruhrs wurde im Raabser Verließ eingekerkert, was zu einem Wiederaufflammen der Revolte führte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gelang es den Puchheimern, die landesfürstliche Lehenshoheit abzuschütteln und Raabs als freies Eigen zu erwerben. Im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts nahmen einzelne Mitglieder der Familie am protestantischen Adelsaufstand gegen Kaiser Ferdinand teil. Sie holten auch böhmische Truppen zur Verstärkung ins Land. Der Kaiser ächtete daraufhin 1620 den Freiherrn Andreas II von Puchheim und der bayerische Herzog Maximilian belagerte die Burg. Zuerst gelang es ihm, die Böhmen, die Drosendorf belagerten, in der Schlacht bei Zemmendorf vernichtend zu schlagen. Danach wurde die Burg Raabs mit schwerer Artillerie beschossen. Bereits nach dem vierten Schuss ergab sich die protestantische Besatzung. Andreas von Puchheim wurde gefangen genommen und nach Wien gebracht. Seine Familie erhielt die beschlagnahmten Güter erst 1638 wieder zurück. Als die Schweden 1645 Raabs bedrohten, lagen kaiserliche Truppen in der Burg. Da Franz Anton Freiherr von Puchheim 1702 nach dem Tod seiner Frau in den geistlichen Stand übertrat, übernahm Franz Edler von Quarient und Raal die Herrschaft. Er vergrößerte sie 1708 durch den Erwerb von Kollmitz und Pfaffenschlag sowie bereits 1701 durch den Edelsitz Radl. 1760 kam Raabs durch Kauf an den Freiherrn Johann Christoph von Bartenstein, der als Rechtsberater der Kaiserin Maria Theresia großes Ansehen genoss. Seine Urenkelin heiratete 1829 den Freiherrn Franz Josef von Kaiserstein. 1873 gelangte Raabs neuerlich als Heiratsgut an Ludwig von Villa-Secca, Navaro d’Andrade.

Fünf Jahre später gab es mit Wilhelm Ritter von Lindheim einen neuen Eigentümer, auf den bereits im nächsten Jahr Reichsgraf Philipp Boos von Waldegg und Montfort folgte. 1912 wurde der reiche Textilindustrielle und Großgrundbesitzer Freiherr Hugo Klinger von Klingerstorff neuer Eigentümer. 1925 verliebte sich seine Frau in den russischen Prinzen Cyrill Konstantinowitsch Orlow. Als Baron Klinger von diesem Verhältnis erfuhr, kam es zu einem Duell zwischen ihm und den Prinzen. Beide wurden schwer verletzt, wobei Orlow nach einigen Tagen im Spital verstarb. Als die Baronin vom Duell erfuhr, erschoss sie sich im Schloss. Klinger ließ ihr am Uhufelsen, hoch über der Thaya, ein Mausoleum errichten. Nach dem Selbstmord seiner Frau begann der Niedergang der Herrschaft. Der Untergang der Monarchie und die schwierige Zwischenkriegszeit waren auch mit dem finanziellen Zusammenbruch der Klinger’schen Unternehmungen verbunden. Die Güter wurden einzeln verkauft und die Burg nicht mehr gepflegt. Ihre Einrichtung wurde verschleudert, so dass heute fast kein Mobiliar mehr vorhanden ist. Erst als der Schweizer Kaufmann Willy Enk 1971 die Burg erwarb, begann man zögernd mit Renovierungen. Anderseits grub er überall nach verborgenen Schätzen, wodurch er neue Schäden anrichtete. Immerhin wurde die Burg der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht und in ihr ein Märchenmuseum als Außenstelle des Österreichischen Volkskundemuseums eingerichtet. 1996 erwarb der Verleger Richard Pils aus Großwolfgers die Burg. Seither wird sie langsam restauriert. Seit 1973 finden in den Sommermonaten Konzerte und Ausstellungen statt. In mehreren Räumen wird das Verlagsprogramm der „Bibliothek der Provinz“ präsentiert. Einzelne Räume können für Feste und Veranstaltungen gemietet werden.

Die Burg wurde auf einem mächtigen Felsen über dem Zusammenfluss der Mährischen mit der Deutschen Thaya westlich des Stadtzentrums errichtet. Sie nützt diesen 200 m langen Felssporn vollständig aus und hat daher einen unregelmäßigen Grundriss. Trotz vieler Umbauten in Renaissance, Barock und Rokoko hat Raabs auch als Schloss seinen Burgencharakter bewahrt. Auf halber Höhe des Burghügels wird dieser von einer Bruchsteinmauer umschlossen. Sie ist durch verschieden hohe Rondells verstärkt und zum Teil mit einer erneuerten Zinnenbekrönung versehen. Mit seinen 130 Räumlichkeiten zählt die maximal 37 m breite und 107 m lange Hochburg zu den größten Anlagen Niederösterreichs. Der Burgfelsen ist nur von Westen her, vom Raabser Ortsteil Oberndorf aus zugänglich. Durch den hier befindlichen Renaissance-Torbau gelangt man in die Vorburg. Dieser Torbau aus dem 17. Jahrhundert zeigt einen hübschen Giebelaufbau mit drei schmiedeeisernen Rokoko-Fensterkörben. Die Vorburg ist ein rechteckiger langgestreckter Hof, der an seiner Nordseite von den ehemaligen Stallungen und talseitig von einer in Rundbögen aufgelösten Mauer über den Substruktionen begrenzt wird. Hier hatten die eingefahrenen Wagen die letzte Möglichkeit zu wenden. Daher wurde dieser Vorhof auch Umkehr genannt. An der östlichen Schmalseite schließt das Verwalterhaus an, das mit dem benachbarten Gebäude an der Nordseite durch einen Schwibbogen verbunden ist. Hier befindet sich eine marmorne Gedenktafel, die vom „Mord in der Umkehr“ berichtet. 1591 wurde hier Niklas Freiherr von Puchheim, Erbtruchseß von Österreich, durch seine Erzfeinde Adam von Hofkirchen und Ferdinand von Schönkirchen ermordet. Die Einbeziehung des Ortspfarrers Anton Strohmaier in das Attentat ist jedoch nachweislich falsch. Sie dürfte lediglich auf den Gegensatz zwischen dem militanten evangelischen Burgherrn und dem katholischen Pfarrer zurückzuführen sein. Der gerichtliche Freispruch des Pfarrers wurde einfach negiert.

Der auf die Umkehr folgende tiefe Halsgraben wird von einer zweibögigen barocken Steinbrücke überquert. Sie führt zu einem Vorplatz vor dem in die Hauptburg führenden Tor. Rechter Hand steht der an die südliche Umfassungsmauer grenzende (fast) runde Hungerturm. Er ist von einzelnen staffelgiebelförmigen Lukarnenaufsätzen gekrönt und beherbergte in seinem Untergeschoß das Verließ. Eine schöne schmiedeeiserne Türe führt in sein Inneres. Bis 1779 hatte er ein Gegenstück an der anderen Seite des Torweges. Von hier aus führt eine zweite Brücke (von 1799) über den Halsgraben zum Schlosspark sowie zum ehemaligen Turnierplatz oberhalb der Vorburg. Wer durch das Innere Tor in die Burg eindringen wollte, musste zuerst den Hungerturm und dann den hohen fünfseitigen Bergfried aus dem 12. Jahrhundert passieren. Natürlich musste er beiden Türmen die ungeschützte Schwerthand zuwenden. Der Bergfried ist aus Bruchsteinen erbaut und mit einem flachen Zeltdach gedeckt. Seine abgerundete Kante ist gegen die Vorburg gerichtet. Nach dem Passieren des Bergfrieds steht der Besucher endlich vor der Hauptburg. Das Portal liegt im dreigeschossigen Westtrakt. Ihm ist ein Uhrturm mit Zwiebelhaube aufgesetzt. Die Uhr stammt angeblich aus der Zeit um 1600. Das Portal ist rundbogig. Darüber ist ein Aufsatz mit einer Inschrifttafel und dem Wappen des 1558 verstorbenen Andreas I von Puchheim angebracht. Im Giebelfeld des darüber befindlichen, von zwei Konsolen getragenen Dreieckgiebels erkennt man zwei mit den Schweifen verflochtene Drachen, auf denen Puten reiten (um 1570).

Durch die mit einem Reliefwappen im Deckenspiegel verzierte Durchfahrt gelangt man in den ersten Innenhof. Hier befand sich die mittelalterliche Vorburg, die in der Renaissancezeit überbaut wurde. An den, den rechteckigen Hof umgebenden dreigeschossigen Fassaden sind zwei Sonnenuhren aus der Zeit um 1705 aufgemalt. Die Dächer werden von profilierten Rauchfängen überragt. An der talseitigen Außenfront springt der „Ochsenturm“, ein mächtiger halbrunder Batterieturm aus dem Bering vor. Er hat einen Durchmesser von 17 Meter. Seine Mauerstärke beträgt bis zu sechs Meter. In der rechten Hofecke verbindet eine Spindeltreppe mit tordiertem Handlauf um 1550 die einzelnen Geschosse. Im Osten des Hofes führt ein etwas erhöhtes Barockportal in die eigentliche Hochburg. In dem diesen Hof abschließenden Querbau steckt das Feste Haus des 11./12. Jahrhunderts. Es gehört zu den ältesten Teilen der Burg. Die anschließenden spätgotischen Bauteile sind durch einen schmalen Hof getrennt. Im Nordtrakt ist das Brunnenhaus aus dem späten Mittelalter bemerkenswert. Der Brunnenschacht reicht ca. 70 m bis zur Talsohle hinab. Das Radwerk ist noch vorhanden. Im südlichen Trakt liegen der Große und der Kleine Rittersaal. Der 180 m² Große Rittersaal wird gerne für Konzerte genutzt. Vier spätgotische Schulterbogenportale führen in die angrenzenden Räume. Der Saal ist mit Renaissancefresken geschmückt, die erst vor einigen Jahren entdeckt und aus Kostengründen bisher nur zu einem geringen Teil freigelegt werden konnten. Auch in anderen Räumen werden noch Fresken aus dem 15. und 16. Jh. unter dem Putz vermutet. Im Kleinen Rittersaal haben sich zwei profilierte Renaissance-Türstöcke erhalten. Eine Tür führt auf einen Söller über dem Felsabbruch, von dem man eine herrliche Aussicht über die Stadt und die Umgebung hat. Unterhalb des Kleinen Rittersaales liegt im Erdgeschoß an der zur Stadt gerichteten Spitze des Burgfelsens die romanische Burgkapelle aus dem 11. Jahrhundert. Von diesem zweigeschossigen romanischen Sakralraum haben sich nur die Grundmauern erhalten. Sie sind heute überbaut und mit einem Dachreiter versehen. Die dem Hl. Klemens geweihte Kapelle zeigt ein Deckenbild von Franz Geyling von 1836, das die Himmelfahrt Christi darstellt, doch hat man darunter eine bemalte Renaissance-Holzdecke entdeckt. Die Wände der Kapelle sind vollständig bemalt. Der mit Akanthusblättern geschmückte Altar stammt aus dem Jahr 1730.

Lage: Niederösterreich/Waldviertel – ca. 21 km nordöstlich von Waidhofen/Thaya

Besichtigung: vom 2. Juni bis 3. September (Freitag, Samstag, Sonntag sowie an Feiertagen von 10.00 – 18.00)

Homepage: http://bibliothekderprovinz.at/site_home.php?site=raabs


Weitere Literatur:


19.09.2006