Burg Kreuzenstein liegt auf einem etwa 100 m über die Ebene emporragenden Hügel und beherrscht die Landschaft zwischen Korneuburg und Stockerau. Diese Lage war strategisch äußerst günstig. Von hier aus konnte der Eintritt der Donau in die Wiener Pforte sowie Teile des Korneuburger Beckens kontrolliert werden. Zahlreiche prähistorische Funde beweisen, dass schon damals eine Ringwallanlage bestand. 1002 schenkte Kaiser Heinrich II seinem Getreuen Pilgrim von Vormbach Land, das etwa den Raum zwischen dem Rohrwald und dem Bisamberg umfasste. Die erste echte Burg dürfte zu Beginn des 12. Jh. errichtet worden sein, doch gab es zweifellos bereits vorher eine Wehranlage auf diesem Hügel. 1115 wird in einer Urkunde des Stiftes Melk ein Dietrich von Grizanestaine aus dem bayrischen Geschlecht der Formbacher erwähnt. Seine Tochter heiratete den Grafen Engelbrecht von Wasserburg, dessen Nachkommen Kreuzenstein über ein Jahrhundert lang besaßen. Graf Konrad, der letzte Wasserburger verkaufte 1246 die Burg den Babenbergern. König Przemysl Ottokar übergab Kreuzenstein 1272 dem Grafen Aegidius von Preßburg. Die Habsburger setzten vorwiegend Pfleger und Burggrafen ein, verpfändeten es aber auch recht häufig. Vom Pfleger Wolfgang von Rohrbach wird berichtet, dass er 1408 im Auftrag Herzog Leopolds den Wiener Bürgermeister Konrad Vorlauf und sieben seiner Ratsherren am Riederberg gefangen nahm und sie auf Kreuzenstein inhaftierte. Später wurden sie in Wien hingerichtet. 1425 war Kreuzenstein für kurze Zeit Residenz des jungen Herzogs Albrecht V, der später als Albrecht II auch römisch-deutscher König wurde. Seine Gattin Elisabeth, die Tochter des ungarischen Königs Sigismund, brachte 1436 die ungarischen Reichskleinodien hierher in Verwahrung. 1450 verhandelte man in der Burg über die Entlassung ihres Sohnes Ladislaus Posthumus aus der kaiserlichen Vormundschaft. Seit 1450 war der jeweilige landesfürstliche Pfleger auch Kommandant der Festung Korneuburg.
1525 erhielt der bisherige Pfleger und spätere Verteidiger Wiens gegen die Türken, Niklas Graf Salm, Kreuzenstein als Lehen. 1527/28 wurde hier der Wiedertäufer Dr. Balthasar Hubmaier gefangen gehalten. Da er seine Lehre nicht widerrief, wurde er schließlich auf der Erdberger Lände in Wien öffentlich verbrannt. 1548 gelang es dem böhmischen König Podiebrad sich in den Besitz der Feste zu setzen. Ein Vorfahre des späteren Bauherrn namens Wenzel Wilczek befehligte damals die hier versammelten böhmischen Truppen. Kreuzenstein kam 1585 an die Grafen Hardegg. Der Burgherr hatte als Kommandant der Festung Raab diese vorzeitig den Türken übergeben. Nach einem Kriegsgerichtsverfahren wurde er 1595 wegen Feigheit vor dem Feind in Wien öffentlich hingerichtet. Kreuzenstein fiel wieder an den Landesherrn. Zu Beginn des 30-jährigen Krieges kam die Herrschaft an den Freiherrn von Herberstein. Er kümmerte sich jedoch nicht um die Verteidigung, so dass 1620 böhmische Soldaten die Burg vorübergehend einnehmen konnten. Seine Witwe heiratete den Freiherrn Karl von Saint-Hilaire, dem vom Kaiser der erbliche Besitz von Kreuzenstein bestätigt wurde. Außerdem erhielt er 1635 die Grafenwürde. 1645 übergab der kaiserliche Befehlshaber von Kreuzenstein und Korneuburg die Burg ohne Widerstand dem schwedischen Feldmarschall Torstenson. Dieser schlug hier sein Hauptquartier auf und wartete auf die Truppen Rákóczis, mit denen er seine Armee vereinigen wollte. Als Erzherzog Leopold ihn jedoch von Norden her bedrohte, zog er sich zurück und ließ zuvor durch Sprengungen die Burg gründlich zerstören. In der Folge benützte die umliegende Bevölkerung die Ruine als willkommenes Baumaterial für ihre Behausungen, so dass zu Beginn des vierten Viertels des 19. Jh. nur noch einige Reste, wie Teile der Ringmauer, der Rumpf des Ostturmes und Teile der Kapelle erhalten waren.
Kreuzenstein war 1702 durch die Vermählung der letzten Tochter des Hauses Saint-Hilaire mit dem späteren Reichsgrafen und Feldmarschall Heinrich Wilhelm von Wilczek an dessen Familie gekommen. Als 1874 in Johann Nepomuk Graf Wilczek allmählich der Gedanke reifte, Kreuzenstein wiederaufzubauen, beauftragte er den soeben aus den Diensten Kaiser Maximilians aus Mexiko zurückgekehrten Architekten Carl Gangolf Kayser mit den Entwürfen, an denen er selbst starken Anteil nahm. Nach Kaysers Tod 1895 führte Humbert Walcher Ritter von Moltheim das Werk fort, das im wesentlichen 1906 vollendet war. Es entstand eine romanisch-gotische Musterburg, die als letzter großer Burgenbau des Historismus in Österreich gilt. Aus Gründen der Kontinuität wurden die spärlichen Reste der alten Burg in den Neubau eingebaut. Im Gegensatz zum schwärmerischen König Ludwig II, der ungefähr um die gleiche Zeit Neuschwanstein errichtete, war Wilczek ein historisch denkender Realist. Auch er wollte die Idealvorstellung einer mittelalterlichen Burg verwirklichen. Der Bau sollte jedoch in erster Linie zur Aufnahme seiner riesigen Sammlungen an kunsthistorisch interessanten Objekten dienen. Tatsächlich gibt es keine mittelalterliche Burg, in der so viele Kunstschätze wie in Kreuzenstein – angeblich ca. 11.000 Objekte - angehäuft waren. Während Neuschwanstein weitgehend ein moderner Betonbau ist, bemühte sich Wilczek möglichst viele Originalteile, die allerdings aus ganz Europa stammten, einzubauen. Wilczek gründete eine eigene Bauhütte, in der Handwerker aus ganz Europa beschäftigt waren. Nach 1874 wurde zuerst die Familiengruft in den Ruinen erbaut. Die Burg selbst entstand – ohne Generalplan – ab 1879 nach Maßgabe der erworbenen Bauteile und Kunstwerke. Das letzte Viertel des 19. Jh. war in Europa die Zeit der Stadterweiterungen und der damit verbundenen Demolierungen. Auf seinen Jagd- und Sammelfahrten konnte der Graf so manches historisch wertvolle Stück retten. So kaufte er auf Hohensalzburg um den Holzwert eine dort längst vergessene Wurfmaschine aus dem Mittelalter. Ein Polentakessel italienischer Arbeiter entpuppte sich als Eisenhut aus dem 15. Jh. Zu seinen Funden gehörten auch einige Steinsarkophage, die als Sautröge verwendet wurden.
Johann Nepomuk Graf Wilczek war eine der markantesten Persönlichkeiten des späten 19. Jahrhunderts in Österreich. Obwohl er Ritter vom Goldenen Vließ und Kämmerer Kaiser Franz Josephs war, hielt er doch etwas Abstand vom Hofleben. Am Krieg gegen Preußen 1866 nahm er als „Gemeiner“ in einem Feldjägerbataillon teil, obwohl ihm eine Offiziersstelle zustand. Schon damals fand er auf einem Erdäpfelacker ein keltisches Bronzeschwert. Wilczek war nicht nur Kunstsammler, Jäger und Bauherr, was in Adelskreisen nicht unüblich gewesen wäre, sondern auch Philantrop und Forscher. Er finanzierte u. a. die Payer-Weyprecht Arktisexpedition von 1872 sowie eine weitere 1882. Unter dem Eindruck der Katastrophe des Ringtheaterbrandes gründete er die Wiener Freiwillige Rettungsgesellschaft. Außerdem war er an der Schaffung der Rudolfinerhaus-Stiftung und des Heeresmuseums in Wien beteiligt. Das notwendige Kapital stand ihm aus Einkünften seiner Kohlengruben und Güter in Schlesien und Mähren zur Verfügung. Burg Kreuzenstein ist zwar bewohnbar eingerichtet, wurde aber nie wirklich bewohnt. Sie war von Anfang an als Museum gedacht, doch fanden hier auch prächtige Feste statt, bei denen die Gäste in historischen Kostümen erschienen. 1915 brannte fast ein Viertel der Burg ab, wobei wertvollste Kunstschätze vernichtet wurden. Graf Wilczek starb 1922 und wurde in der Gruftkapelle von Kreuzenstein beigesetzt. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bekam die Burg rund 250 Granattreffer ab, da sie zeitweise in der Hauptkampflinie lag und von deutschen Einheiten besetzt war. Danach kam es zu ausgiebigen Plünderungen. Die bedeutendsten Kunstwerke waren jedoch glücklicherweise ausgelagert. Die Schäden wurden durch die Familie Wilczek, der Kreuzenstein nach wie vor gehört, behoben. Als finanzielle Basis der Erhaltung dienen einerseits die Eintrittsgebühren und anderseits der noch verbliebene Gutsbesitz im benachbarten Seebarn. Kreuzenstein gehört heute zu den meistbesuchten Burgen Österreichs. Es war aber nicht das einzige größere Objekt, um das sich Wilczek annahm. Er erwarb auch das vom Verfall bedrohte Schloss Moosham im Lungau, ließ es restaurieren und mit neu erworbenen bäuerlichen Hausrat und Werken der Lungauer Volkskunst ausstatten.
Die Burg liegt inmitten eines ovalen Erdwalles aus dem Mittelalter, dessen oberer Rand mit einem Fußweg versehen ist und dadurch eine leichte Besichtigung der Außenfront ermöglicht. Eine Steinbrücke führt über den tiefen Graben zum äußeren Burgtor. Es ist mit Fußgängerpforte, Zugbrücke, Fallgatter und Pechnase ausgestattet. Der Torbogen stammt von der Burg Petersberg in Oberösterreich, das Fallgatter aus der steirischen Burg Strechau. Es ist noch mit seinem kompletten Hebemechanismus erhalten. Der hl. Martin über dem Tor stand im Mittelalter noch auf einem Schloss bei Bamberg. Zwischen dem runden Torturm und dem mit einem mächtigen Ziegeldach versehenen halbrunden Turm erstreckt sich der Zwinger. Die Flügel des zweiten Tores stammen vom Innsbrucker Zeughaus. Oberhalb vom Eingang sind die Wappen der einstigen Burgbesitzer in Stein gehauen. Danach gelangt man in den großen Burghof, der durch den Kaschauer Gang in zwei Teile geteilt wird. Dieser riesige gotische Bauteil stammt vom Kaschauer Dom in der Ostslowakei. Er bildete dort die vierjochige Orgelempore. Wilczek fand das abgebrochene Baumaterial vor der Kirche liegend, kaufte es, ließ es nach Kreuzenstein transportieren und dort wieder orginalgetreu aufbauen. Genauso erging es dem hübschen Fachwerksbau aus Nürnberg im inneren Burghof. Die Zisterne im äußeren Hof stammt noch von der ursprünglichen Burg. Sie wurde beim Neubau entdeckt, freigelegt und wieder verwendet. Bei der Erbauung des 50 m hohen Bergfriedes dürften die Stadttürme von Perchtoldsdorf oder Freistadt als Muster gedient haben. Das Baumaterial stammt von einem alten Turm am Inn und wurde auf der Donau herbeigebracht. Das Turminnere ist in sieben Stockwerke unterteilt. Eine Wendeltreppe führt über die Glöcknerstube zum steinernen Rundgang hinauf, der von starken Kragsteinen gestützt, den obersten Teil des Turmes umgibt. Die Mitte des inneren Burghofes wird durch den 60 m tiefen Brunnen bestimmt, dessen Brunnenschale einst in Mestre/Venedig stand. Die gesamte Nordseite des Hofes wird durch das Palasgebäude eingenommen. In seinem Erdgeschoß befindet sich die reich bestückte Waffenkammer. Sie gilt als größte private Sammlung von Hieb- und Stichwaffen Österreichs. Im Kanonenraum werden alte Vorderladerkanonen und Hakenbüchsen aufbewahrt. Eine zweigeschossige, romanisch gestaltete Loggia verbindet den Palas mit der Burgkapelle. Die mittlere der drei Säulen geht auf das 14. Jh. zurück und stammt aus der alten Basilika von Padua, die beiden seitlichen sind Kopien.
Die dem hl. Nikolaus geweihte Kapelle ist auf den Fundamenten ihrer gotischen Vorgängerin errichtet. Außen beeindruckt sie durch ihre riesigen Maßwerkfenster und durch den prunkvollen gotischen Turmhelm. Im Inneren ist sie überreich mit Kunstwerken ausgestattet. Ihre Wände sind mit Steinreliefs vom 8. bis zum 15. Jh. geschmückt. Bemerkenswert ist der gotische Flügelaltar, der aus 47 Einzelteilen verschiedener Herkunft zusammengefügt wurde. Besonders schön sind die Glasfenster aus dem 13., 14. und 15. Jh. Sie stammen aus einem ungarischen Kloster und aus der Grazer Burgkapelle. Unterhalb der Kapelle liegt die Familiengruft, mit der der Wiederaufbau Kreuzensteins begonnen hatte. In einem prächtig geschnitzten Schrank (1459) der Sakristei befanden sich bis 1945 wertvolle gotische Paramente, die wie vieles aus der Burg in den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit verschwanden. Sehr wohnlich eingerichtet sind die Repräsentationsräume im ersten Stock des Palas. Der große Saal ist durch ein florentinisches Gitterwerk vom kleineren Vorsaal getrennt. Er ist in Größe und Höhe auf den mächtigen gotischen Schrank aus dem Kloster Neustift bei Brixen abgestimmt. Dieser Kasten ist mit seinem reich geschnitzten Maßwerk ein Spitzenwerk der österreichischen Kunsttischlerei des ausgehenden Mittelalters. Das hohe Netzgewölbe des Saales ist dem des Wladislav-Saales im Prager Hradschin ähnlich. Das prunkvoll gestaltete Fürstenzimmer war hohen Gästen vorbehalten. Seine Möbel gehören dem 15. und 16. Jh. an. Beachtenswert sind die burgundischen Tapeten aus dem 15. Jh. Im Obergeschoß wurde ein Badezimmer eingerichtet, dessen Prunkstück eine spanisch-maurische Fayence-Badewanne aus dem frühen Mittelalter ist. Im Bergfried liegen das Burgarchiv und anschließend die von vier Säulen aus Untersberger Marmor gezierte Bibliothek. Die Schätze dieser beiden Räume, darunter Radierungen von Dürer und Cranach, wurden durch den Brand von 1915 und die Kriegsereignisse von 1945 arg dezimiert. Schätze anderer Art findet man in der riesigen Burgküche im Untergeschoß des Gadens. Hier befindet sich eine große Sammlung vorwiegend gotischer Küchengeräte. Der Küchentisch besteht aus einem einzigen 7,5 m langen und 1,5 m breiten Eichenholzbrett, das an einem Salzburger Bach als Brückenpfosten diente. Um ihn zu erwerben, ließ Wilczek eine neue Brücke bauen.
Lage: Niederösterreich/Donautal – auf einem Hügel oberhalb von Leobendorf
Besichtigung: Führungen finden vom 23. März bis 31. Oktober täglich von 10.00 bis 16.00 (an Sonn- und Feiertagen bis 17.00) statt.
Sonstiges: www.kreuzenstein.com
Weitere Literatur:
29.07.2003