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Palais Erzherzog Rainer (Engelskirchner)


Schon in der Barockzeit waren es meist nicht die Staatsmänner und Generäle, die persönlich am meisten von Kriegen profitierten, sondern die Armeelieferanten und Baumeister. So war es auch mit Leopold von Engelskirchner, dem Sohn eines ohnehin reichen Hoflieferanten. Nachdem er 1708 geadelt worden war, ließ er sich 1710/11 auf einem großen Gartengrundstück zwischen Wiedner Hauptstrasse, Schönburgstrasse und Rainergasse im heutigen 4. Gemeindebezirk ein prächtig ausgestattetes Sommerpalais errichten, das von einem, auf drei Terrassen liegenden Französischen Garten umgeben war. Die kunsthistorische Bedeutung des Palais lag nicht zuletzt in den Statuen, die Lorenzo Mattielli für die Attika der herrschaftlichen Sommerwohnung um 1730 schuf. Vier davon sind noch erhalten. Sie befinden sich heute in der Einfahrtshalle der Innsbrucker Hofburg. Die Gegend an der Schönbrunnerstrasse war ursprünglich keine von reichen Adeligen besonders geschätzte Wohngegend. Hier befanden sich zahlreiche Weingärten und eine viel befahrene Ausfallstraße. Sie gewann erst an Bedeutung als Kaiser Leopold I ein bestehendes Schlösschen, die Neue Favorita, für Sommeraufenthalte des Wiener Hofes ausbauen ließ. Teile der adeligen Gesellschaften, die ihrem Kaiser möglichst nahe stehen wollten, aber in den engen Gassen Wiens keinen geeigneten Bauplatz für ein Wiener Palais auftreiben konnten, siedelten sich meist mit großen Gärten in der Nachbarschaft an. Schließlich lagen hier die Grundstückspreise wesentlich niedriger als im Zentrum Wiens. Die Ersparnisse wurden meist in die Ausgestaltung von Palais und Garten gesteckt. Am Palais Engelskirchner war unter anderen Künstlern Antonio Beduzzi tätig. Der kaiserliche Theateringenieur war wohl weitgehend für den Entwurf des Bauplanes verantwortlich. Für ihn charakteristisch ist vor allem der überhöhte achteckige Mittelrisalit. Auch die mit Putten geschmückte Freitreppe, die vom Garten zum Hauptsaal führte, sowie die elegante Sala terrena weisen auf seine Vorliebe für Theatereffekte hin. Zum Schloss gehörten auch großzügige barocke Stallungen mit einer Reitschule im Park. Allerdings dürfte der Bauherr die Gesamtkosten deutlich unterschätzt haben. Bereits bald nach Fertigstellung musste er das Palais an den französischen Botschafter in Wien, Comte du Luc, vermieten. 1724 wurde es gepfändet und zwangsversteigert.

Zum Zug kam Johann Baptist von Garelli, der Leibarzt von Kaiser Leopold I. Seine Schwiegertochter verkaufte das Palais an Kaiser Karl VI. Es diente nun der kaiserlichen Familie als Sommersitz. Kaiser Franz Stephan kümmerte sich besonders um die Gartengestaltung. Als 1767 Kaiserin Maria Theresia an Pocken erkrankte, zog sie bis zu ihrer Genesung hierher, um eine Ansteckung ihrer Kinder mit der damals meist tödlich verlaufenden Seuche zu vermeiden. Ihre Schwiegertochter Maria Josefa, die ebenfalls ihre Pocken-Krankheit hier auskurieren wollte, überlebte die Epidemie nicht. Wegen dieser Episode wurde das Palais Engelskirchner später auch Kaiserhaus genannt. Nachdem Maria Theresia nach wenigen Jahren das Palais an Graf Joseph von Windischgräz verkauft hatte, wechselte dieses in fünfzig Jahren mehrfach die Besitzer. Zu diesen zählten u. a. die Grafen Wilczek sowie einige bürgerliche Geldgeber des Hofes. Der Großhändler und Bankier Johann Heinrich Freiherr von Geymüller d. J. ließ das von ihm 1824 erworbene schlossähnliche Palais umbauen und modernisieren. Er galt als einer der reichsten Wiener seiner Zeit und konnte es sich leisten, es als eines der ersten Wohngebäude der Stadt mittels Gas zu beleuchten. Erneut gab es rauschende Feste und Empfänge. Leider hatte er nicht das finanzielle Talent seiner beiden Verwandten, die das berühmte Bankhaus Geymüller in Wien gegründet hatten. Sein luxuriöser Lebensstil sowie einige mit ihm in Verbindung gebrachte Veruntreuungen führten dazu, dass er 1843 gezwungen war, das Engelskirchner Palais der Ersten Österreichischen Spar-Casse zu verkaufen und in die Schweiz zu flüchten, wo er bald völlig verarmt verstarb. Sein Lebenslauf soll angeblich dem österreichischen Schriftsteller Ferdinand Raimund als Vorlage für sein Zaubermärchen „Der Verschwender“ gedient haben, doch ist dies nicht gut möglich, da Raimund dieses bereits zehn Jahre vor Geymüllers Flucht geschrieben hatte.

Weder die Bank, noch die Familie Palffy, die bereits ein Jahr später als Eigentümer auftrat, waren langfristig am Besitz der wertvollen Immobilie interessiert. Eine Zeitlang diente das Gelände mit den bemerkenswerten barocken Stallungen sogar der berittenen Gendarmerie als Kaserne. Die Investitionen hielten sich daher in engen Grenzen. Dies änderte sich jedoch mit dem letzten adeligen Eigentümer. Erzherzog Rainer d. J. war der Sohn des gleichnamigen Vizekönigs der Lombardei und Venetiens. Er kam erst mit 17 Jahren nach Wien, verfügte aber über die entsprechenden Mittel um hier standesgemäß leben zu können. Das von ihm 1854 erworbene Palais Engelskirchner wurde aufgestockt und gründlich renoviert. Erzherzog Rainer d. J. besaß das Gebäude bis zu seinem Tod im Jahr 1913. Es diente ihm als Hauptwohnsitz. Unter ihm blieb das alte Engelskirchner Palais zwar als Kern des nunmehrigen Palais Rainer erhalten, doch veränderten sich dessen Proportionen durch Um- und Ausbauten gewaltig und nicht zu seinem Vorteil. Viel Platz benötigten der neue Bibliothekstrakt und das neue Stallgebäude. In der Bibliothek war neben seinen 40.000 Büchern auch die 100.000 Objekte umfassende Papyrussammlung des Erzherzogs untergebracht, die er 1899 der kaiserlichen Hofbibliothek (der späteren Nationalbibliothek) schenkte. Erzherzog Rainer war ein Neffe von Kaiser Franz I, von dem er mit verschiedenen militärischen und politischen Aufgaben betraut worden war. Nach dem Ersten Weltkrieg, den der Erzherzog nicht mehr miterleben musste, gab es kaum mehr eine Verwendung für das riesige Gebäude. Es stand weitgehend leer und wurde nicht mehr gepflegt.

Nach Rainers Tod wurden seine vielfältigen Sammlungen verkauft bzw. versteigert. Das Palais verwahrloste zusehends. Rainers Neffe und Erbe Erzherzog Franz Salvator sowie dessen Sohn Klemens Salvator hatten offenbar kein Interesse bzw. nicht genug Kapital um eine Sanierung durchzuführen. Dies gilt auch für die Behebung der Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg. Danach richteten die russischen Besatzungstruppen hier ein Offizierskasino ein, das ebenfalls zu weiteren Schäden an der Substanz führte. Diese waren aber nicht so groß, dass sie nicht mehr zu beheben gewesen wären. Es fehlten jedoch weiterhin das notwendige Kapital und vor allem der Wille für die Sanierung eines Schlosses der bei Teilen der Bevölkerung und der Regierung ohnehin nicht sehr beliebten Habsburger. Als nach zehnjähriger russischen Besetzung und dem Staatsvertrag das Gebäude wieder in österreichische Verwaltung überging, wusste man damit ebenfalls nicht viel anzufangen. Interessant war aber das große Grundstück mit dem ehemaligen Park. Das Palais wurde trotz dem Einspruch des Österreichischen Denkmalamtes 1957/58 abgerissen, nachdem man die Innenausstattung verkauft oder versteigert hatte. An seiner Stelle entstand 1961 bis 1965 ein modernes Bürohaus als Verwaltungssitz der Firma Semperit. Auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten wurde es 1981 an die Wirtschaftskammer Österreich verkauft. Den für den Abriss mitverantwortlichen Architekten und Stadtplanern drückte aber offenbar das schlechte Gewissen. Ihre Idee, mit Teilen der abgebrochenen und zwischengelagerten Fassade das sog. Untere Stöckl des unweit gelegenen Theresianums zu behübschen, kam nicht zur Ausführung, da die meisten brauchbaren Fassadenteile offenbar bereits andere Liebhaber gefunden hatten. An das Palais Rainer oder Engelskirchner erinnern nur mehr die wenigen in Innsbruck aufgestellten Attikastatuen und angeblich geringe Reste von Fenstergewänden in einem Wiener Park. Eine Bacchusfigur soll sich möglicherweise in einem Depot der Gemeinde Wien befinden.

Ort/Adresse: 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße/Rainergasse

Besichtigung: restlos abgetragen


Weitere Literatur:


24.12.2020