ARCHIV


Gefährdete Objekte

Schlosshotels

Personenverzeichnis






Rappoltenkirchen


Rappoltenkirchen wurde 1210 erstmals urkundlich erwähnt. Es dürfte aber bereits 1186 vom letzten steirischen Herzog Ottokar VI den Hochfreien von Lengenbach geschenkt worden sein. Diese gaben es bis 1236 an einige ihrer Lehensleute weiter. Der Ort hieß ursprünglich Rapotenkirchen, was darauf hinweist, dass er von einem Grafen Rapoto gegründet worden war. Über die Babenberger gelangte die Herrschaft in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an die Schenken von Dobra. 1358 erneuerte Herzog Rudolf IV das Amt des obersten Jägermeisters in Österreich und verband es mit dem Amtslehen Rappoltenkirchen. Erster Inhaber war Ritter Friedrich von Kreisbach. In Anlehnung an das mit dem kleinen Wehrbau verbundene Amt, wurde die Feste damals Jägerburg genannt. Die Kreisbacher hatten sich den Beinamen „Landfahrer“ erworben, da sie an zahlreichen Kriegszügen in Europa und im Orient teilgenommen hatten. Von Wilhelm von Kreisbach, der mit Anna von Doppel verheiratetet war, ging das Jägermeisteramt an die Familie Doppel über. 1417 war Rappoltenkirchen an Wolfgang von Laßberg und 1418 an die Familie Sepeck verpfändet. Von 1428 bis 1468 waren die Ritter von Sepeck Lehensinhaber. Diese verzichteten weitgehend auf die mittelalterlichen Wehreinrichtungen und wandelten die bisherige Burg in ein immer noch wehrhaftes Schloss um. Danach wechselten die Burgherren relativ häufig. Im 16. Jahrhundert werden als Burgherren u. a. Andreas Krabath von Lappitz, Georg von Wasseyr und Heinrich von Oed zu Ennsegg genannt. Im Jahre 1590 wurde die Burg durch ein schweres Erdbeben, das damals weite Teile von Niederösterreich verheerte, weitgehend zerstört. In der Zeit danach dürfte der regelmäßige, vierflügelige Vorgängerbau des heutigen Schlosses, unter Verwendung der noch brauchbaren Bauteile, entstanden sein.

Ab 1623 gehörte die Herrschaft den Freiherren von Questenberg. 1710 kam Rappoltenkirchen in den Besitz von Johann Ferdinand Reichsgraf von Kuefstein. Bei seiner Familie verblieb es nun über hundert Jahre lang. 1809 brannten die Franzosen das halbe Dorf und die Wirtschaftsgebäude nieder. Das Schloss selbst dürfte relativ heil geblieben sein. Über den Fürsten Franz Josef von Dietrichstein kam die Herrschaft durch Kauf 1821 an den Wiener Bankier Georg Simon Freiherrn von Sina zu Hodes und Kizda. Die Familie Sina war zwar griechischer Abstammung, kam jedoch nicht aus Griechenland, das es damals als eigenen Staat noch gar nicht gab, sondern aus Bosnien, das wie Griechenland zum damals bereits bröckelnden Vielvölkerstaat Türkei gehörte. Der Freiherr hatte erst 1811 die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Er war einer der reichsten Wiener und zugleich der größte Grundbesitzer im damaligen Ungarn, aber auch Präsident der k. k. Staatsbahnen und Besitzer zahlreicher Handels- und Industriebetriebe. In den folgenden Jahren ließ er durch den Architekten Alois Ludwig Pichl etliche Bauarbeiten am Gebäude durchführen, die aber seinen Charakter nicht wesentlich veränderten. Sein Sohn Georg holte den dänischen Architekten Theophil Hansen, der bereits 1860 sein Wiener Palais umgebaut hatte, von Athen nach Wien und ließ ihn zwischen 1869 und 1874 Schloss Rappoltenkirchen, als Sommersitz errichten. Es handelte sich dabei aber um keinen Neubau, sondern um eine großzügige Adaptierung des alten Gebäudes im neoklassizistischen Stil.

Die Türkei wurde im 19. Jahrhundert oft als „kranker Mann am Bosporus“ bezeichnet, da sie wegen ihrer militärischen Schwäche und den Zerfallserscheinungen im Inneren nicht mehr in der Lage war, vor allem ihre europäischen Gebiete am Balkan zu beherrschen. Dafür sorgten schon die europäischen Großmächte, denen eine schwache Türkei lieber war als eine militärisch starke. Schließlich war Mitteleuropa noch zweihundert Jahre zuvor nur knapp durch die beiden misslungenen Türkenbelagerungen Wiens dem Expansionsdrang der Sultane entgangen. Anderseits konnte die Türkei mit relativ geringen Aufwand den Zugang zum Schwarzen Meer für Russland, aber auch für die anderen europäischen Mächte jederzeit sperren. Man musste daher vorsichtig vorgehen. Fürst“ Alexander Ypsilanti war ein Enkel des gleichnamigen Wojwoden der Walachei und einer der militärischen Planer des griechischen Freiheitskampfes gegen die Türkei. Er unterschätzte jedoch seine militärische Stärke. Sein lediglich 450 Mann starkes „heiliges Bataillon“ wurde bei einem Aufstand 1821 fast völlig aufgerieben. Ypsilanti musste fliehen, doch wurde er in Österreich aufgegriffen. Aber auch hier hatten die Behörden wenig Verständnis für seine Ideen. Staatskanzler Fürst Metternich, der kein Freund von Volkserhebungen war und Auswirkungen auf sein eigenes Land, das ja ebenfalls ein Vielvölkerstaat war, fürchtete, ließ ihn zuerst auf der Burg Munkacs in der heutigen Ukraine und ab 1823 in Theresienstadt internieren. 1827 wurde er entlassen und zog nach Wien, wo er ein Jahr später starb. Georg Simon d. J. Freiherr von Sina war noch wohlhabender als sein gleichnamiger Vater. Er hatte durch Baumwollimporte ein riesiges Vermögen angehäuft. Der österreichisch-ungarische Staat schuldete ihm drei Millionen Gulden. Er ließ in den Jahren 1870 bis 1874 im Schlosspark von Rappoltenkirchen ein Mausoleum für Fürst Alexander Ypsilanti errichten. Dessen Gebeine ruhten hier von 1906 bis 1964. Danach wurde Ypsilanti, der in Griechenland trotz seines militärischen Misserfolgs als Nationalheld gilt, nach Thessaloniki überführt. Seit damals ist das Mausoleum leer.

Schloss Rappoltenkirchen blieb bis zum Tod Georg Simons d. Ä. 1856 das Verwaltungszentrum der europäischen Besitzungen der Familie Sina. Georg Simon d. J. war der letzte männliche Vertreter der Familie. Natürlich war auch sein Reichtum sagenhaft. Er konnte es sich leisten, den griechischen Freiheitskampf zu finanzieren und den Staatsschatz des neugegründeten Staates Griechenland zu spenden. In Wien und Athen entstanden auf seine Kosten zahlreiche öffentliche Bauten häufig nach Plänen seines Lieblingsarchitekten Theophil Hansen. Nach seinem Tod wurde Rappoltenkirchen gemeinsamer Besitz seiner vier Töchter bzw. deren Nachkommen. Die Erbprinzessin Chariclee zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Iphigenie Reichsgräfin zu Pappenheim, die Prinzen Emanuel und Theodor Ypsilanti, die Fürstin Irene Maurocordato und Anastasia Gräfin Wimpfen teilten sich das riesige Erbe. Die Fürsten Ypsilanti erbten 1884 schließlich die Herrschaft Rappoltenkirchen. Sie besaßen sie bis 1990. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Schloss enteignet und von der Gestapo als Archiv benutzt. Da es 1945 schwer beschädigt und devastiert worden war, wohnten die Eigentümer nun im früheren Amtshaus, einem zweigeschossigen Nebengebäude am Kirchenplatz. Von diesem gelangte man schon seit 1835 mittels einer Durchfahrt in den Garten bzw. zum eigentlichen Schlossbau. In der Nachkriegszeit wurden zwar die äußeren Bauschäden notdürftig behoben, das Innere litt jedoch weiter, da mangels Pflege ganze Decken einstürzten, Räume ausbrannten und alles Brauchbare gestohlen oder verkauft wurde. Kurz vor dem Verkauf an Frau Eva Buschmann wurde es – etwas spät - unter Denkmalschutz gestellt. Ihr gehörte das Schloss bis 1996. Danach befand es sich einige Jahre lang im Eigentum von Herrn KR Erich Fach, der eine bereits dringend notwendige Renovierung startete. Heute sorgt ein Wiener Arzt für die denkmalschutzgerechte Instandhaltung. Der Abschluss der Arbeiten ist in absehbarer Zeit zu erwarten.

Das Schloss ist im Kern eine mittelalterliche Anlage am nordöstlichen Ortsrand von Rappoltenkirchen. Auf den ersten Blick ist es aber ein repräsentatives Beispiel des „Strengen Historismus“, wie er vor allem bei Hansen’s Wiener Ringstraßenbauten immer wieder vorkam. Es ist von einem trockenen Graben umgeben, der am Außenrand von einer Steinbalustrade eingefasst ist und im Südwesten von einer Steinbrücke überspannt wird. Es ist ein rechteckiger, viergeschossiger Bau mit dem Charakter eines italienischen Renaissance-Kastells. Über einem hohen rustizierten Sockel, der das im Graben liegende Souterrain und das Erdgeschoß zusammenfasst, befinden sich noch zwei weitere Stockwerke. Die Fronten weisen an den Schmalseiten fünf und an den Längsseiten sieben Fensterachsen auf. Die Fenster der Beletage sind als Ädikulä gestaltet, die des obersten Geschoßes durch kleine toskanische Pilaster hervorgehoben. Die vom Bauherrn gewünschte gedeckte Einfahrt entstand im neu angelegten Neo-Renaissanceturm, den er durch einen gedeckten Wandelgang mit dem Schloss verband. Dieser wird durch fünf rundbogige Öffnungen beleuchtet. Um mehr Gäste unterbringen zu können, wurde das alte Gebäude aufgestockt. Über den Schlossgraben führt im Südosten ein als Arkadengang ausgebildeter Verbindungstrakt. Er trägt eine, von Balustraden begrenzte Dachterrasse und führt zu einem fünfgeschossigen, quadratischen Turm, der sich am äußeren Grabenrand befindet. Engelsfiguren flankieren die rundbogige Durchfahrt im Erdgeschoß. Der flach gedeckte Turm hat in den folgenden drei Stockwerken Doppelfenster, während das oberste Geschoß vier einfache Fenster aufweist. In ihm befanden sich einst die Kapelle und das Herrschaftsarchiv. Dieser Turm ähnelt dem von Osborne House auf der Isle of Wight. Er setzt dem eher wuchtigen Schlossbau einen, die Vertikale betonenden Akzent entgegen.

Die ehemals reichen Dekorationen der Attikazone sind nur noch in Fragmenten erhalten. Der durch Hansens Umgestaltung zu einem lichtdurchfluteten repräsentativen Treppenhaus gewordene ehemalige Innenhof zeigt an drei Seiten in allen vier Geschossen offene Galerien. Er ist mit einem flachen Glasdach gedeckt. Die in Stucco lustro gehaltenen Wände des Treppenhauses werden durch Pilaster gegliedert. Sie weisen reiche, der Renaissance entlehnte Dekorationselemente in den Frieszonen auf. Die Prunktreppe verbindet lediglich das Erdgeschoss mit dem ersten Stock, während über eine Nebentreppe im nordöstlichen Flügel alle Stockwerke erreichbar sind. Die stuckverzierten Repräsentationsräume des Schlosses lagen zum Teil im Erdgeschoß (Gartensalon, Speisezimmer, Bibliothek, Billardzimmer) und zum Teil im ersten Stock (Großer Saal und Salon). Der südliche Ecksalon weist ein ovales Deckengemälde auf, das die Geburt der Venus zeigt. Die Schlafzimmer, sowie das Arbeitszimmer des Hausherrn befanden sich an der Parkseite des ersten Stocks. Der zweite Stock war zur Aufnahme von Gästezimmern bestimmt. Die Inneneinrichtung des Schlosses ist komplett verloren gegangen. Das Schloss ist von einem 22 ha großen Park umgeben, der einst sehr gepflegt war und in dem sich einige Parkbauten, wie eine Gloriette und ein Tempel befanden. Außer dem Mausoleum (1854) der Familie Sina bzw. der Gruft der Ypsilanti (1897) haben sie sich nicht erhalten. Ein triumphbogenartiges rustiziertes Parkportal von 1873 grenzt den Park nach Nordwesten ab. Es trägt die Inschrift „Servare intaminatum“ (unbefleckt bewahren). Der Park wurde als Landschaftsgarten um 1830, also deutlich vor dem Umbau des Schlosses angelegt und erst später durch Parkbauten bereichert. Umfangreiche Wirtschaftsgebäude liegen zwischen dem Schloss und dem Ortszentrum.

Lage: Niederösterreich/Wienerwald – am nordöstlichen Rand des gleichnamigen Ortes bei Sieghartskirchen

Besichtigung: derzeit nicht möglich


Weitere Literatur:


06.02.2020