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Reichenau an der Rax - Schloss Rothschild


Schloss Rothschild liegt im Ortsteil Hinterleiten von Reichenau an der Rax am nordwestlichen Abhang des Kreuzberges. Ursprünglich nannte man auch das Schloss Hinterleiten, doch hat sich diese Bezeichnung nicht durchgesetzt, da der Name Rothschild durch das gleichnamige Bankhaus und dem sagenhaften Reichtum der Familie vor allem im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Österreich einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad hatte. Die Familie Rothschild scheint um 1500 in Deutschland erstmals urkundlich auf. Da viele Berufe für Juden nicht in Frage kamen, waren ihre Mitglieder häufig im Kreditgeschäft tätig. Seit dem 18. Jahrhundert sind sie vorwiegend als Bankiers bekannt. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das Haus Rothschild zum größten Bankkonzern Europas geworden, der viele Staaten und Fürstenhäuser finanzierte. Das Wiener Bankhaus wurde 1820 durch Salomon Meyer Freiherr von Rothschild gegründet. Durch seine Finanzierungen wurde es zum Motor der österreichischen Wirtschaft. Dazu gehörten u. a. die nach Böhmen ins Herz der österreichischen Industrie führende Kaiser-Ferdinands-Nordbahn, die Österreichische Creditanstalt für Handel und Gewerbe sowie wichtige Projekte in der Schwerindustrie wie die Witkowitzer Eisenwerke in Mähren. Das Bankhaus wurde meist ausschließlich von Familienmitgliedern geleitet. Im vierten Viertel des 19. Jahrhunderts wäre der 1836 als ältester Sohn von Anselm Salomon Freiherr von Rothschild geborene Baron Nathaniel Rothschild an der Reihe gewesen, den Familien- und Bankkonzern zu leiten. Er verzichtete jedoch darauf zu Gunsten seines jüngeren Bruders Albert Salomon und beschäftigte sich lieber mit seiner großartigen Kunstsammlung, seinem prachtvollen Palais in der Wiener Theresianumgasse, sowie den von ihm in Auftrag gegebenen Gartenanlagen in Wien-Döbling. Er ist auch als Gründer der Vienna, des ersten Fußballvereines in Österreich bekannt. Auch das Neurologische Zentrum der Stadt Wien für Nervenkranke geht auf eine Stiftung seinerseits zurück. Obwohl die Rothschilds durch ihre massiven Investitionen sehr viel zum wirtschaftlichen Aufschwung der Monarchie und Mitteleuropas beigetragen hatten, wurde auch bei ihnen hier kein einziges Familienmitglied in den Hochadel erhoben. Es gab weder in Deutschland noch in Österreich jüdische Grafen oder Fürsten. Beim Freiherrn (oder Baron in Österreich) hörten sich die weiteren Nobilitierungen oder Standeserhöhungen auf. Die Kluft zwischen Adel und Judentum war unüberwindlich. Lediglich in Großbritannien erhielt ein gleichnamiger Nathaniel de Rothschild 1885 einen Sitz im House of Lords.

Durch die Eröffnung der Südbahn im Jahr 1854 war das Semmering/Rax/Schneeberggebiet für vornehme oder zumindest reiche Wiener Sommergäste eine leicht erreichbare Feriendestination geworden. Mitglieder des Kaiserhauses waren vorangegangen und hatten schlossähnliche Villen auf großen parkähnlichen Grundstücken errichtet. Prominentester Kurgast war Erzherzog Carl Ludwig, der Bruder des Kaisers Franz Joseph. Er hatte sich am Rande des Ortes Schloss Wartholz errichten lassen, einen gediegenen, aber nicht besonders prunkvollen Ansitz. Baron Nathaniel Rothschild kam ab 1879 häufig nach Reichenau. Vermutlich um den Erzherzog etwas zu ärgern, ließ er unweit von Wartholz ein eigenes Schloss errichten, das jenes Carl Ludwigs bei weitem in den Schatten stellen sollte. Allein die geplanten Errichtungskosten von zwei Millionen Gulden sollten das Zehnfache von Wartholz betragen. Er erwarb im Ortsteil Hinterleiten mehrere Herrschafts- und Bauerngründe und beauftragte 1884 das französisch-italienische Architektenbüro Armand Bauqué und Albert Pio, das sich um 1880 in Wien angesiedelt hatte, mit der Planung seines neuen Landsitzes. Mit der Bauausführung wurde die Wiener Baufirma Heinrich und Franz Glaser betraut. Zuerst wurde der Personaltrakt errichtet, der 1887 fertiggestellt war. Rothschild gab sein Sommerdomizil in der Dependance des Hotels Fischer (heute: Marienhof) auf und zog in den Personaltrakt ein. Der Bau der beiden Schlösser führte zu einem architektonischen Duell zwischen dem alten Hochadel und dem modernen Geldadel. Beide Schlossherren schätzten einander nicht besonders. Für Erzherzog Carl Ludwig war Baron Rothschild ein immens reicher jüdischer Parvenü, der mit seinem Geld glaubte, sich alles kaufen zu können, während für Rothschild der Erzherzog ein von Standesdünkeln beherrschter, ihm aber intellektuell weit unterlegener Gegner war.

Das eigentliche Wohnschloss wurde aber – vor allem im Inneren – nie ganz fertig, da Nathaniel Rothschild bereits 1889 die Freude an seinem Märchenschloss verlor und die Einstellung der Bauarbeiten verfügte. Er schenkte die Anlage samt Park, zum Entsetzen der Einheimischen und Sommergäste, dem „Verein für Brustkranke“ zwecks Errichtung einer Tuberkulose-Heilanstalt. Aus heutiger Sicht dürfte es ihm aber damit wohl nicht sehr ernst gewesen sein, denn natürlich wusste er, dass für ein solches Spittal nur wenige hundert Meter neben dem Schloss des österreichischen Erzherzogs keine Benützungsbewilligung zu bekommen gewesen wäre. Der Bruder des Kaisers hätte dies sicherlich verhindert und dem Bankhaus Rothschild wäre wohl so mancher Staatsauftrag entgangen. Es zeigt aber die Antipathie, die zwischen den beiden prominentesten Sommergästen Reichenaus herrschte. Erzherzog Carl Ludwig war schon oft das Ziel von Sticheleien, deren Herkunft unklar war. So wurde ihm sogar unterstellt, dass er die Rax abtragen wolle, da sie ihm die Sicht auf seine Besitzungen in der Steiermark nehme. Auf Grund von Bitten der Gemeinde, die um ihren Fremdenverkehr fürchtete, zog Baron Rothschild schließlich die Schenkung zurück und errichtete eine Stiftung für invalide Offiziere der k. u. k. Armee. Gleichzeitig brachte der Baron in die Stiftung die beträchtliche Summe von 800.000 Kronen ein, um mit deren Zinsen die laufende Unterhaltung von Schloss und Park zu sichern. Im Jahr 1900 wurde das Schloss dem k. u. k. Kriegsministerium als Stiftungsbehörde übergeben. Während des Zweiten Weltkrieges diente das Gebäude als Erholungsheim und Lazarett. Heutiger Eigentümer ist die „Vereinigte Altösterreichische Militärstiftung“. Das mittlerweile bestens restaurierte Schloss wird derzeit als Schulungszentrum, aber auch als Urlaubsdomizil für Angehörige des Bundesheeres genutzt. In der wärmeren Jahreszeit finden hier gelegentlich kulturelle Veranstaltungen und Konzerte statt.

Das gepflegte Schloss ist von einem prächtigen, 19 ha großen Englischen Landschaftspark umgeben. Die gewundene Zufahrt ermöglicht immer wieder Ausblicke auf die repräsentative Ostfassade des Landsitzes. Dieser besteht aus dem eigentlichen Wohnschloss, das ursprünglich wesentlich größer geplant war, und dem Personaltrakt. Beide Gebäude sind in unterschiedlichen Architekturstilen gehalten. Für den zweigeschossigen Hauptbau wählte Rothschild die französische Renaissance, wobei ihm zweifellos manche Loire-Schlösser als Vorbild dienten. Auf eine strenge Symmetrie wurde bewusst verzichtet. Der zwei- bis dreigeschossige Personaltrakt, der vierflügelig einen Innenhof umschließt, ist im einfacheren rustikalen englischen Landhausstil errichtet, wodurch der Klassenunterschied zwischen dem Bauherrn und seinen Bediensteten architektonisch betont wird. Beim Wohnschloss fasziniert die vielteilige Dachlandschaft mit ihren zahlreichen Dachhäuschen, Gaupen und verschieden gestalteten Kaminen. Die Dachziegel sind bunt glasiert. Die nur wenig vorspringenden dreiachsigen Eckrisalite werden durch riesige turmartige Pyramidenstümpfe betont. Sie lassen dem zweiachsigen Mittelteil mit dem korbbogigen Portalbereich nur wenig Platz, was sich auf die Proportionen des Schlosses eher ungünstig auswirkt. Der schlanke Rundturm an der Gebäudeecke trägt einen hohen und spitzen Helm. Bemerkenswert ist die Farbigkeit der Fassade. Sie erinnert an Textilien, ist jedoch auf den mehrfachen Wechsel von behauenen Steinquadern, Fachwerk und Sichtziegeln zurückzuführen, wobei letztere teilweise mit Alabastergips und Rauputz verfremdet sind. Sowohl an der Durchfahrt als auch an den Dachhäuschen findet sich immer wieder das Monogramm bzw. das Wappen des Bauherrn.

Der niedrigere Personaltrakt mit seinen Wirtschaftsräumen schließt im Südwesten an das Haupthaus an. Er ist durch eine Treppe und einen Korridor mit ihm verbunden. Die geplanten Wohn- und Repräsentationsräume sind zwar nur zum Teil fertiggestellt, geben aber einen guten Eindruck, wie das Schloss im Endausbau ausgesehen hätte, wenn sich der Bauherr nicht zu einer Beendigung der Arbeiten entschlossen hätte. Man merkt und das sollte so auch sein, dass die Familie Rothschild bei ihren Bauten nicht zu sparen brauchte. An winzigen Details, wie Fensterriegel oder Türschnallen erkennt man, dass das Schloss im Endausbau ein Paradebeispiel für den späten Historismus geworden wäre. Die Wände des Eingangsbereiches sind mit Holz verkleidet, ebenso die Decke und die gotisierenden Türrahmen. Das Vestibül wurde erst 1995 zu einem Seminarraum umgestaltet. Es ist eine vierjochige Halle, die durch Marmorsäulen in zwei Schiffe geteilt ist. Das Hauptschiff weist eine Gurtentonne auf. In der Südostecke des Saales führt eine offene Wendeltreppe ins Obergeschoß. Auch hier sind die Räume zum Teil mit Wandvertäfelungen und Holzdecken ausgestattet. Der weitläufige Schlosspark ist von einer langen Mauer aus Bruchsteinen und Sichtziegeln umgeben. Das Pförtnerhäuschen am meist geschlossenen Schmiedeeisentor ist dem Baustil des Schlosses angepasst. Obwohl das Schloss ein typischer Vertreter der Neo-Renaissance ist, wollte man auf modernen Komfort natürlich nicht verzichten. So gehörte zu den Parkbauten sogar ein eigenes Gaswerk. Schloss, Park und Nebengebäude bilden auch heute noch ein Ensemble, dem man den Eigentümerwechsel von 1889 bzw. 1900 und den damit verbundenen Wechsel des Verwendungszwecks nicht ansieht.

Lage: am Rand des Reichenauer Villenviertels

Ort/Adresse: 2651 Reichenau an der Rax

Besichtigung: nur bei Veranstaltungen oder als Sommergast möglich


Weitere Literatur:


07.01.2020