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Graz - Joanneum (Altes Joanneum)


Das Grazer Joanneum ist das älteste und nach dem Wiener Kunsthistorischen Museum das zweitgrößte Museum Österreichs. Es wird jedoch nicht allzu viele Besucher geben, die wissen, dass in ihm ein bedeutendes Adelspalais steckt. An der Adresse Raubergasse 10 lag im 16. Jahrhundert der sog. Rauberhof. Sein Name hatte nichts mit der unsicheren Lage in der Stadt zu tun. Er bezog sich vielmehr auf die angesehene Familie Rauber, die hier ihr Stadthaus hatte. Dieses war von Niclas Rauber im 15. Jahrhundert errichtet worden. Dennoch hatte die Liegenschaft bei den Verbrechern der Stadt keinen guten Ruf. In unmittelbarer Nähe stand der sog. Reckturm. In diesem Justizgebäude wurden die Verdächtigen zwecks Erzielung von Geständnissen bei Bedarf gefoltert. Ihm angeschlossen war bis 1835 das Scharfrichterhaus. Der schillerndste Vertreter der Familie war wohl Andreas Eberhard Rauber (1507 – 1575), der wegen seiner Körpergröße und Kraft als „deutscher Herkules“ bezeichnet wurde. Bemerkenswert war auch sein extrem langer Bart. Er diente Kaiser Maximilian II als Hofkriegsrat. Ein anderes Familienmitglied war Christoph Rauber, der im Alter von 18 Jahren Bischof von Laibach wurde. In späteren Jahren brachte er es bis zum Landeshauptmann und obersten Kriegskommisär von Krain. Außerdem war er zeitweise Statthalter der innerösterreichischen Länder. Ob er bei diesen vielen profanen Berufungen noch genügend Zeit für seine religiösen Aufgaben fand, ist nicht überliefert. Die Familie hatte auch Besitzungen in Niederösterreich (Plankenstein und Karlstetten) sowie in Slowenien. Sie ist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erloschen. Ihr Grazer Stadthaus war aber bereits Ende des 16. Jahrhunderts ins Eigentum von Sebastian von Windischgrätz übergegangen. Nach ihm wechselten die Eigentümer relativ häufig. Dazu gehörten 1592 die steirische Landschaft und bald darauf (1596) Otto von Herbersdorf. Im 17. Jahrhundert war die repräsentative Bautätigkeit von Adel und Kirche in der Steiermark vorerst relativ zurückhaltend, da der türkische Sultan immer wieder damit drohte, nach Mitteleuropa vorzurücken und sein Haupthindernis - die Habsburger - zu zerschmettern. Erst als die türkische Armee 1664 bei Mogersdorf eine schwere Niederlage erlitten hatte, begann man wieder selbstbewusster zu werden und an neue Paläste und Schlösser zu denken. Die Äbte und Pröpste der bedeutenden Stifte und Klöster waren der gleichen Meinung.

Das Benediktinerstift St. Lambrecht gehörte zu den mutigsten von ihnen. Sie ließen den alten Rauberhof abreißen und in den Jahren 1665 bis 1674 durch einen damals durchaus modernen Neubau ersetzen. Der Westflügel wurde dabei über der mittelalterlichen Stadtmauer errichtet. Architekt war der aus Oberitalien stammende Stiftsbaumeister Domenico Sciassia. Die dreigeschossige Palastanlage war das erste Grazer Stadtpalais, das im Barockstil erbaut wurde. Allerdings zeigt es noch keine alle Stockwerke verbindenden Riesenpilaster, die für spätere Barockbauten typisch sind. Man begnügte sich mit kleineren Pilastern und variierte diese zwischen dem Erdgeschoß und dem zweiten Obergeschoß. St. Lambrecht konnte sich seines Besitzes nicht lange erfreuen. Wegen einer hohen Überschuldung der Ordensgemeinschaft musste es das Palais bald weiterverkaufen. Neuer Besitzer wurden die Grafen Leslie, eine aus Schottland stammende katholische Adelsfamilie. Einige ihrer Angehörigen waren in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach Österreich gekommen, da sie sich in Schottland aus Glaubensgründen verfolgt fühlten. Von ihnen kaufte es im 18. Jahrhundert Johann Carl Fürst Dietrichstein. Im Auftrag von Erzherzog Johann erwarben die steirischen Stände 1811 den Bau, um hier die naturhistorischen Sammlungen des Erzherzogs unterzubringen. Damit hatte das heutige Joanneum als Adelspalais ausgedient. Bis heute ist das Palais Museum geblieben und trägt seinen Namen. Zur Unterscheidung von dem aufwändigen Museumsneubau von 1894 wird es seither Altes Joanneum genannt. Ursprünglich war das Palais nur halb so groß wie heute. Als Museumsbau litt es sofort unter Raummangel, der auch durch einen klassizistischen Anbau von 1826 nicht behoben werden konnte. Erst 1894 verdoppelte August Gunold die Länge an der Raubergasse durch einen Zubau mit der detailgetreuen Kopie der barocken Fassade Sciassias.

Durch diese Erweiterung entstand ein lang gestreckter Gebäudekomplex um zwei Innenhöfe. Diese zeigen an zwei Seiten Pfeilerarkaden, die über alle Geschosse reichen. Heute sind die korbbogigen Arkaden in beiden Obergeschossen verglast. Die leicht geknickte Schauseite in der Raubergasse mit ihrer Barock- bzw. Neobarockfassade wurde hingegen nicht verändert. Bemerkenswert sind hier die Hermenpilaster, die mit ihren geschuppten Schäften aus den toskanischen Pilastern des ersten Stockwerks hervor wachsen. Das rustizierte Tor in der Raubergasse erinnert an große freistehende Renaissance-Schlösser. Über dem Schlussstein und dem eleganten Oberlichtgitter sind am Fries sieben farbige Bronzewappen angebracht. Sie stammen aber erst aus dem frühen 19. Jahrhundert und stellen die Embleme des damaligen Landeshauptmannes Graf Attems sowie der ständischen Verordneten dar. Die zweigeschossige Hauskapelle ist ein kleiner dreijochiger Saalraum mit einer geraden Chorwand. Sie liegt rechts vom Eingang im Erdgeschoß. Ihre geschnitzte Eingangstüre stammt noch aus der Zeit des Neubaues nach der Schlacht bei Mogersdorf. Auch die 1668/70 von Giovanni Rocco Bertoletti geschaffenen Stukkaturen im Stichkappen-Tonnengewölbe sowie die Malereien von Johann B. Columba (um 1668) gehören derselben Bauperiode an. An der Eingangswand ist eine Wappenkartusche der Grafen von Leslie aus der Zeit um 1684 angebracht. Das mit 1818 datierte Altargemälde des Stuccolustro-Säulenaltares zeigt die Taufe Christi. Vier Räume des Westflügels wurden vermutlich um 1739 von Johann Cajetan Androy mit interessanten Stuckdecken ausgestattet. Im Nordtrakt haben sich ebenfalls zwei qualitätvolle Stuckplafonds erhalten, die Johann Angelo Formentini zugeschrieben werden. Von der nicht wandfesten Ausstattung des ehemaligen Palais sind noch zwei venezianische Glasluster sowie mehrere Empire-Kachelöfen vorhanden.

Ort/Adresse: 8010 Graz, Raubergasse 10

Besichtigung: im Rahmen des Museums zu den Öffnungszeiten möglich

Homepage: www.museum-joanneum.at


Weitere Literatur:


28.08.2019