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Palais Seybel


Das späthistoristische Palais Seybel zählt zu den wenigen Wiener Palais des 19. Jahrhunderts, die weder im Auftrag von Adeligen, Bankiers oder bürgerlichen Großkaufleuten errichtet wurden. Bauherr war eine Industriellenfamilie, die in Liesing eine große Chemiefabrik besaß. Die Firma Wagenmann, Seybel & Co, zu der auch eigene Bergwerke in der Steiermark und in der heutigen Slowakei gehörten, befand sich bereits seit 1865 im Besitz von Emil Seybel. Seine drei Söhne Otto, Paul und Georg folgten ihm 1880 im Besitz. Der Ausbau zum Großbetrieb war vor allem Otto Seybel zu verdanken. Vermutlich war es auch er, der 1889 das Familienpalais in der Reisnerstraße 50 erbauen ließ. Er war auch Präsident der Wiener Börsenkammer und bekleidete verschiedene führende Positionen im Bankwesen der Stadt. 1912 wurden er und seine Brüder nobilitiert. Die Errichtung des Palais lag in den Händen des Architekturbüros Fellner & Helmer, das vor allem als Schöpfer zahlreicher Theater in den Ländern der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bekannt ist. Das Palais Seybel zählt zu den wichtigsten repräsentativen Wohnstätten dieser Firma. Wie bei vielen großen österreichischen Industriebetrieben war auch die Glanzzeit von Wagenmann, Seybel & Co mit dem Ende des Ersten Weltkrieges vorbei, da der Großteil seiner Rohstoffvorkommen und Absatzmärkte verloren gingen. 1920 verkaufte die Familie Seybel ihre Aktien an eine Gesellschaft aus der Skoda-Gruppe. Das Palais wurde aber weiterhin von ihr bewohnt. Hier lebte auch zeitweise der österreichische Schriftsteller, Theaterkritiker und Musiker Georg von Seybel, ein Sohn Paul von Seybels. Er litt an Depressionen und schied 1924 im Alter von 38 Jahren freiwillig aus dem Leben. Das Palais dient auch heute noch vorwiegend als Wohnhaus.

Es war ursprünglich ein an allen Seiten frei stehendes Gebäude, doch wurde es um 1908 durch einen einstöckigen Verbindungsbau mit dem Nachbarhaus, das sich ebenfalls im Besitz der Familie befand, verbunden. Das Seybel’sche Palais, ist ein – von der Reisnerstraße aus betrachtet – kubisch wirkender Bau, der an seiner Vorderseite sieben Fensterachsen, an seinen Seitenfronten aber nur drei Achsen aufweist. Beim Baumaterial wurde nicht gespart. Um Solidität zu zeigen, wurde vorwiegend Haustein verwendet. Über einem rustizierten Erdgeschoß liegen zwei glatte Wohngeschoße, die durch ihre Fenster horizontal gegliedert werden. Jene im ersten Obergeschoß sind rundbogig und als französische Ädikulafenster gestaltet. Die etwas schlichteren rechteckigen Fenster des zweiten Stocks tragen segmentbogige Verdachungen. Der obere Abschluss der Fassaden erfolgt durch eine Attikabalustrade über dem wuchtigen und reich profilierten Kranzgesims. Das Palais weist keine vorspringenden Risalite auf, doch sind die Seitenachsen besonders repräsentativ gestaltet. Sie zeigen in jedem Obergeschoß ein großes dreiteiliges Fenster, das von ionischen bzw. korinthischen Halbsäulen gerahmt wird. Über den dazugehörigen schmalen Nebenfenstern sind Ochsenaugen angeordnet. Vor diese Fenstergruppe tritt jeweils ein von einer Steinbalustrade begrenzter Balkon vor. Dieser ist im zweiten Obergeschoß segmentbogig vorgewölbt. Das dahinter liegende Fenster zeigt als Abschluss einen gesprengten Giebel mit einer Wappenkartusche, die jedoch kein Wappen, sondern den Buchstaben S zeigt, was auf die Eigentümer hinweist. Die Kartusche wird von Putten flankiert. Das von Säulen umgebene Rundbogenportal liegt asymmetrisch im Erdgeschoß der rechten Seitenachse. Die schmale Südfront des Palais zeigt einen einachsigen, deutlich vorspringenden Mittelrisalit mit einem ebenfalls monumentalen Beletagefenster. Es wird von doppelten ionischen Halbsäulen gerahmt. Die von der Reisnerstraße nicht einsehbare Rückseite des Palais ist mit Balustraden und einer Balkongruppe geschmückt. Vom Hausflur mit seinen ionischen Stuckmarmorsäulen führt eine mit Wendepodesten ausgestattete repräsentative Treppe in die einstige Beletage.

Ort/Adresse: 1030 Wien, Reisnerstraße 50

Besichtigung: nur von außen möglich


Weitere Literatur:


27.06.2018