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Palais Schwab


Genau genommen ist das Palais Schwab kein echtes Palais, obwohl es alle architektonischen Merkmale eines solchen besitzt. Die Lage, nur wenige Meter neben der Wiener Ringstraße ist repräsentativ. Die ursprünglich mit wertvollen Möbeln bestückte Beletage, prächtige Deckenmalereien sowie die strenghistoristische Fassade mit dem säulengeschmückten Portal sind typische Merkmale eines Wiener Stadtpalais. Es fehlt jedoch ein wichtiger Punkt. Es gab keine adeligen Bauherren oder spätere Eigentümer. Es zeigt aber wie das wohlhabende Bürgertum im 19. Jahrhundert versuchte, den Adel zu kopieren, sofern es sich dies leisten konnte. Das Palais Schwab hatte im wesentlichen drei jüdische Familien als Eigentümer, was auch das Fehlen einer Kapelle erklärt. Ursprünglich sollte an der Stelle des Palais das Wiener Rathaus erbaut werden, doch entschloss man sich schließlich für den ehemaligen Paradeplatz gegenüber dem Burgtheater. 1871 wurde der nahe dem abgerissenen Carolinentor liegende Baugrund von Gottlieb Schwab, einem böhmischen Textilindustriellen, erworben, der erst unmittelbar zuvor nach Wien gezogen war. Er beauftragte 1872 den Architekten Wilhelm Stiassny mit der Errichtung eines herrschaftlichen Wohnsitzes. Stiassny war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bekannter Wiener Architekt, der vorwiegend für seine Glaubensfreunde tätig war. Schwab konnte aber nicht lange seinen neuen Wohnsitz genießen, da er offenbar beim Wiener Börsenkrach von 1873 viel Geld verloren hatte. 1875 befand sich das Palais jedenfalls bereits im Besitz des Textilfabrikanten Baron Johann von Liebig, dem einer der größten Textilbetriebe des Kontinents gehörte. Liebig war geadelt worden, da er nach der verlorenen Schlacht bei Königsgrätz, die zum Teil auf seinen Besitzungen ausgetragen worden war, auf eigene Kosten Spitäler zur Versorgung der Verwundeten hatte einrichten lassen.

Der dritte Besitzer war der ebenfalls jüdische Heinrich Schnabel, der im Häutehandel ein Vermögen gemacht hatte. Er stammte aus dem jüdischen Ghetto im böhmischen Trebic. 1907 hatte er bereits die Altmannsdorfer Lederfabrik erworben. Nach dem Tod des Barons Johann von Liebig im Jahr 1917 hatte er für seine Familie das Palais angekauft. Er starb 1936, so dass er nicht mehr die im Juni 1938 erfolgte Arisierung seines Wohnsitzes miterleben musste. In ihm zog die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ein. Sämtliche Salons und Wohnräume mussten in Büroräume umgewandelt werden. Schnabels Söhne konnten nach England, Zagreb und Buenos Aires flüchten. Im Zweiten Weltkrieg blieb das Gebäude von Bombenschäden verschont, doch litten die Deckengemälde bei der Bombardierungen der Nachbarhäuser durch die Erschütterungen. Nach Kriegsende benützte das österreichische Arbeitsamt die Räume des Palais vorerst weiter. Dann stand es lange leer und wurde nur von Obdachlosen frequentiert. Der Rechtsstreit um die Rückgabe dauerte fast zehn Jahre. 2005 wurde das Palais an die Erben zurückgegeben, obwohl diese bereits in den 50er Jahren eine Entschädigung bekommen hatten. 1976 und 2014 wurde das Gebäude renoviert zuletzt neu vermietet.

Das Palais ist ein an zwei Seiten freistehendes viergeschossiges Gebäude mit einem markanten dreigeschossigen Runderker an der Ecke zur Hegelgasse. Dieser Erker setzt im ersten Obergeschoß an und ruht dort auf zwei kräftigen Volutenkonsolen. Gegliedert wird er durch toskanische, ionische und korinthische Pilaster. Zwischen den beiden Konsolen erkennt man ein gekreuztes L, das Zeichen der Familie Liebig. Die an den Erker anschließenden Fassaden sind in der Weihburggasse sieben- und in der Hegelgasse zehnachsig. Sie werden durch toskanische Dreiviertelsäulen, Friese und Gesimse gegliedert, wirken aber recht überladen. Im ersten und zweiten Stock laufen Balustraden um das gesamte Gebäude. Die Fenster weisen sowohl dreieckige und segmentbogige als auch gerade Verdachungen auf. Nach oben hin werden die Fassaden durch ein mächtiges Zahngesims abgeschlossen. Das ionische Säulenportal liegt an der rechten Seite der Front an der Weihburggasse. Der darüber angebrachte Fries ist mit Festons und einer Löwenmaske verziert. Auf dem Fries sitzt ein einachsiger Balkon mit seinem Schmiedeeisengitter auf. Trotz der jahrzehntelangen Verwendung des Palais als Abreitsamt hat sich die wandfeste Innenausstattung sehr gut erhalten. Die letzte Renovierung hat ihren alten Glanz wiederhergestellt. Das zweijochige Vestibül zeigt in seinem Tonnengewölbe neben reichen Stuckverzierungen interessante Groteskenmalereien. An der linken Wand des Vestibüls führt eine Tür in das schmale Stiegenhaus mit seiner einarmigen Treppe. Seine Wände sind mit rotem Stuckmarmor verkleidet. Das Hochparterre dient als Beletage. Der hier befindliche ehemalige Speisesaal ist vertäfelt. In seine Holzkassettendecke sind zwei Gemälde des deutschen Historienmalers Julius Frank eingearbeitet. Sie zeigen eine Kahnfahrt und eine Tafelszene. Im Ecksalon haben sich kassettierte Türen mit Goldgrotesken und Puttenreliefs in den Supraporten erhalten. Bemerkenswert sind auch hier die Deckenbilder der Stuckkassettendecke. Sie stellen im Mittelteil Allegorien von Musik, Poesie und Tanz dar. In den Ecken überraschen fünfeckige Ölbilder von Julius Frank mit Märchenmotiven aus Rotkäppchen, Aschenputtel, Dornröschen und Schneewittchen. Auch das Wohnzimmer sowie einige kleinere Räume sind mit Deckengemälden, Stuckkassetten und Holzverkleidungen reich ausgestattet. Interessant ist auch ein Saal im Souterain, der über eine Geheimtreppe erreichbar ist. Er ist vollständig vertäfelt. An einer Längswand befindet sich eine Nische. Man vermutet, dass es sich um den Versammlungssaal einer Freimaurerloge gehandelt hat.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Weihburggasse 30

Besichtigung: meist nur von außen möglich


Weitere Literatur:


26.02.2015