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Palais Erzherzog Wilhelm


Das Palais Erzherzog Wilhelm zählt zu den ältesten und elegantesten Ringstraßenpalästen. Der heutige Parkring gehörte zu den frühesten Bauabschnitten der Ringstraße. Bereits 1858 wurde hier mit dem Abbruch der Stuben- und der Braunbastei begonnen. Bald danach beschäftigte sich der Erzherzog mit der Idee eines Palais auf diesem Teil der künftigen Ringstraße. Erzherzog Wilhelm Franz Karl war Großmeister des Deutschen Ordens. Dies war eines der prestigeträchtigsten Ämter der Monarchie. Sein Wiener Palais wird daher auch oft als Deutschmeisterpalais bezeichnet. Der Deutsche Orden wurde 1189 am dritten Kreuzzug in Akkon gegründet. 1204 errichtete er eine Niederlassung in Wien, die ab 1805 zum Sitz des Hochmeisters wurde. Das Palais wurde in den Jahren 1864 bis 1866 von Theophil Hansen im Neorenaissancestil erbaut. Es ist ein bemerkenswertes Beispiel aus der Frühzeit des Strengen Historismus. Mit den Bauarbeiten war der Baumeister Josef Hlawka betraut. Die Steinmetzarbeiten wurden von Johann Hutterer erledigt. 1869 war auch die prächtige Innenausstattung fertiggestellt. Die Dekorationsmalereien wurden der Firma Eichmüller übertragen. Als Tischler war Heinrich Dübell tätig, während die Firma Gschmeidler die Schlosserarbeiten übernahm. Hansen war ein in Dänemark geborener Architekt, der seine Monumentalbauten vorwiegend in Griechenland (Akademie der Wissenschaften, Bibliothek, Zappeion) und Wien (Parlament, Börse, Musikvereinsgebäude, Akademie der Bildenden Künste, diverse Palais usw) schuf. Das Palais am Parkring ist eines seiner Hauptwerke. Es ist ein Gesamtkunstwerk, da Hansen auch die kleinsten Details, wie z. B. Türschnallen oder Fensterverschlüsse selbst plante.

Gegenüber anderen Ringstraßenpalais ergaben sich zwei wichtige Unterschiede in der Planung. Da der Großmeister des Deutschen Ordens stets unverheiratet sein musste, brauchten keine Räumlichkeiten für die Dame des Hauses vorgesehen werden. Hingegen wurde Wert auf große Stallungen gelegt, da die Ordensmitglieder bei größeren Festlichkeiten meist beritten auftraten. Im Gegensatz zu den meisten Wiener Ringstraßenpalais, bei denen der Hausherr und seine Familie nur eine besonders repräsentativ ausgestattete Etage bewohnte, war beim Palais Erzherzog Wilhelm keine Teilvermietung an zahlungskräftige Privatpersonen oder Firmen geplant. Man benötigte das gesamte Gebäude auch um das aus etwa 50 Personen bestehende Bedienungs- und Stallpersonal unterzubringen. Die Beletage war jedoch dem Erzherzog vorbehalten. Lediglich der Koch und der Kammerdiener verfügten hier über kleine Zimmer. Das Palais steht auf einer Grundfläche von 2133 m². Wie aufwändig gebaut wurde, ersieht man daran, dass Hansen zur gleichen Zeit den doppelt so großen Heinrichshof gegenüber der Oper um nahezu die gleiche Summe von 1,2 Mio. Gulden errichten konnte. Er konnte sicher stellen, dass die beiden symmetrisch angelegten Nachbarhäuser, obwohl sie nicht von ihm, sondern von den damals viel beschäftigten Architekten Johann Romano und August Schwendenwein errichtet wurden, sich der Architektur des Palais anpassten und gemeinsam mit ihm ein Ensemble bildeten. Durch die Aufstockung eines der beiden Gebäude in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist dieser Dreiklang allerdings heute nicht mehr leicht nachvollziehbar.

1870 verkaufte Erzherzog Wilhelm das Palais an den Deutschen Orden. Es wurde nun Residenz des jeweiligen Hoch- und Deutschmeisters. Erzherzog Wilhelm starb 1894 bei einem tragischen Unfall in Baden. Er hatte versucht, sein Pferd an den Lärm der Badener Straßenbahn zu gewöhnen, war jedoch von diesem abgeworfen worden und an den Folgen des Sturzes anschließend verstorben. Letztes Mitglied des österreichischen Kaiserhauses, das dieses Amt ausübte, war Erzherzog Eugen (von 1894 bis 1923). Er war der Neffe und unmittelbare Nachfolger von Erzherzog Wilhelm. Im Ersten Weltkrieg wurde Erzherzog Eugen zum Feldmarschall und Befehlshaber der Südwestfront ernannt. 1919 wurde er auf Grund der Habsburgergesetze des Landes verwiesen und musste das Deutschmeisterpalais verlassen. 1934 wurde ihm die Rückkehr nach Österreich gestattet. Er verstarb 1954 im 91. Lebensjahr. Der Deutsche Orden wurde 1929 in einen rein geistlichen Orden umgewandelt, der sich seither lediglich karitativen Aufgaben widmet. Die Zeit des Rittertums war für ihn endgültig vorbei. In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen war das Palais an verschiedene Firmen und Organisationen vermietet. Im Zuge der Auflösung des Deutschen Ritterordens wurde das Gebäude 1938 durch das Deutsche Reich beschlagnahmt und der Gemeinde Wien übereignet. Von 1938 bis 1945 war die Wiener SS-Zentrale unter Ernst Kaltenbrunner hier eingemietet. Ab 1945 war das Gebäude Sitz der Bundespolizeidirektion Wien. 1974 übersiedelte diese in einen Neubau am Schottenring. Das Palais stand vorläufig weitgehend leer. 1981 kaufte die OPEC – eine Organisation ölexportierender Länder - das Palais. Seit damals ist hier die 1976 gegründete OPEC Foundation bzw. der OPEC Fund for International Development (OFID) domiziliert. OFID ist eine von der OPEC gegründete internationale Finanzierungsorganisation, deren Mittel vorwiegend in Entwicklungsländer eingesetzt werden. Das Palais wurde von Architekt Georg Lippert um S 100 Mio. aufwendig restauriert, aber zum Teil im Inneren verändert. So wurde z. B. der ursprünglich mit Kies bedeckte Boden des im Neo-Renaissancestil gehaltenen Innenhofes, mit Steinfliesen versehen. Er dient jetzt als Atrium. Die Repräsentationsräume haben ihr ursprüngliches Aussehen wieder erhalten. Sie dienen jetzt als Konferenzräume und Direktionsbüros. Die einfach gehaltenen oberen Stockwerke wurden für Bürozwecke umgebaut. Um den erforderlichen Raumbedarf zu schaffen, wurde 2007/09 ein hinter der Attika verstecktes modernes Stockwerk aufgesetzt.

Das vier- bzw. fünfstöckige Palais war der erste Monumentalbau der Ringstraße, der aus hellgrauem Karstmarmor erbaut wurde. Die Fassade an der Ringstraße erhält durch den fünfachsigen, leicht vorspringenden Mittelrisalit und die beiden dreiachsigen, um ein Stockwerk niedrigeren Seitenteile eine ausgewogene Gliederung. Obwohl das Gebäude hier viergeschossig und im Mittelrisalit sogar fünfgeschossig ist, wirkt es durch die unterschiedlichen Raumhöhen, die die Fassade suggeriert eher zweigeschossig. Parterre und Mezzanin sind im rustizierten Sockelgeschoß durch eine einheitliche Quaderung optisch zusammengezogen. Drei große Rundbogentore nehmen die Höhe der beiden unteren Geschoße ein. Sie werden von steinernen Wächterhäuschen flankiert. Die fünf mittleren Achsen bilden einen Mittelrisalit, der um ein Geschoß höher als die Seitenteile ist, aber nur wenig hervortritt. Besonders auffallend ist die Dominanz der Beletage durch ihre extreme Höhe und die ionische Säulen- bzw. Pilasterordnung, die ihr vorgesetzt ist. Die dazwischen liegenden Fenster werden durch ihre dreieckigen Verdachungen der Beletage zugehörig empfunden. Die kleinen Fenster des darüber liegenden Mezzaningeschosses weisen auf seine untergeordnete Bedeutung hin. Die zwischen ihnen liegenden Wandflächen sind mit Reliefs geschmückt. Durch das mächtige Gebälk, das die Fassade waagrecht gliedert, werden das 3. und 4. Geschoß ebenfalls zu einer Einheit zusammengefasst. Über dem Gesims liegt noch ein Attikageschoß. Für letzteres schuf Josef Gasser die sechs freistehenden Statuen der Ordensherolde zwischen den Fenstern in Form von Atlanten, die das Gebälk tragen. An ihrer Stelle waren ursprünglich Karyatiden vorgesehen, doch wurden diese von Erzherzog Wilhelm, möglicherweise aus moralischen Gründen, abgelehnt. Gasser ist auch der Schöpfer von einigen der Ordenshochmeister-Figuren auf der darüber liegenden Balustrade. Der Personaltrakt in der Cobdengasse zeigt einfache, aber elegante Formen. Beim Baumaterial wurde hier gespart. Im Gegensatz zum teuren Karstmarmor der Hauptfassade kam an der Hinterfront ein verputzter Ziegelbau zur Ausführung. Hier lagen die meisten Personalwohnungen. Sie waren naturgemäß ziemlich nüchtern gehalten. Das Erdgeschoß nahm im Wesentlichen den monumentalen Pferdestall, das Stiegenhaus und einige Nebenräume auf. Im Mezzanin befanden sich Räume für den Hofmarschall und den Dienstkämmerer. Die Repräsentations- und die wesentlich einfacher gehaltenen Wohnräume des Erzherzogs lagen natürlich im ersten Obergeschoß. Das darüber befindliche Mezzaningeschoß sowie der Attikaaufbau über dem Mittelrisalit beherbergte Dienerwohnungen und Depots. Küchen- und sonstige Nutzräume waren im Kellergeschoß untergebracht. Drei Nebentreppen und ein Lastenaufzug verbanden alle Stockwerke.

Von der Ringstraße aus führt eine dreischiffige Einfahrt in den glasgedeckten 19 m x 26 m großen Arkadenhof. Er ist so groß, dass einfahrende Wagen darin bequem wenden konnten. Außerdem bestand eine Durchfahrtsmöglichkeit in die Cobdengasse. Der Hof war aber auch als zusätzlicher Festsaal geeignet, wobei er von 200 Gaslampen beleuchtet wurde. Die Pfeilerarkaden sind im Erdgeschoß offen. In der Beletage sind große rechteckige Fenster in den Bogenstellungen eingesetzt. Der Hof wurde so großzügig geplant, damit er auch als Winterreitschule dienen konnte. An der rechten Seite des Innenhofes befindet sich der ehemalige Pferdestall – eine dreischiffige sechsjochige Halle mit marmorverkleideten Wänden und dorischen Säulen aus weißem Kunstmarmor. Er waren für 24 Pferde eingerichtet. Die – heute nicht erhaltenen - Boxen waren mit weißen Marmornischen ausgestattet, in denen sich steinerne Futterbecken und schwarze Eisenkörbe für Hafer befanden. Da sich über dem Pferdestall der Große Festsaal befindet, musste ein besonders aufwändiges Ventilationssystem geschaffen werden, damit die Gäste des Erzherzogs nicht durch die Gerüche ihrer Pferde belästigt werden konnten. Der große Stall ist von außen nicht sichtbar. Zehn kannelierte und sorgsam polierte dorische Säulen aus mit Kunstmarmor verkleidetem Karstmarmor teilen den Raum in drei Schiffe. Heute dient er für Ausstellungen und Veranstaltungen. An der Front zur Cobdengasse lagen die Remisen für den Fuhrpark des Erzherzogs sowie ein Kutscherzimmer. Die Kutschen waren braun lackiert, Kutscher und Diener selbstverständlich livriert.

Die exquisite mobile Einrichtung der Beletage, die ebenfalls von Hansen entworfen worden war, wurde 1918 verkauft. Die wandfeste Ausstattung hat sich aber nahezu völlig erhalten. Erneuert wurden nur einzelne Fußböden, Wandbespannungen und einige Beleuchtungskörper. Der obere Teil, der den Innenhof begrenzenden Wände ist mit Terrakottareliefs im Stil der Renaissance verziert. Sie sind ein Werk von Johann Hutterer. Links von der Tordurchfahrt führt die zweiarmige Prunktreppe zu den Repräsentationsräumen im ersten Stock. Die Nischen des Treppenhauses sind heute leer. Hier standen einst Rüstungen und Waffenarrangements, womit auf den kriegerischen Ursprung des Deutschen Ordens Bezug genommen wurde. Die Beletage des Palais ist prächtig ausgestattet. Die Wohn- und Repräsentationsräume des Erzherzogs bilden eine Enfilade an der Ringstraßenfront. Sie sind nach einem einheitlichen Schema mit textilen Wandbespannungen, hölzernen Lambris und geschnitzten Decken ausgestattet. Über ein Vorzimmer gelangt man vom Obergeschoß des Treppenhauses in die Galerie. An ihrer Kassettendecke findet man mehrmals das Kreuz des Deutschen Ordens sowie den schwarzen Adler, das Wappentier des Erzherzogs. Zu den privatesten Räumen zählen Schlafzimmer, Arbeitszimmer und Bibliothek. Sie sind nicht direkt von der Galerie aus zugänglich. Hingegen schließen die halbprivaten Räume – Speisezimmer und privater Empfangssaal - direkt an den großen Saal über dem Pferdestall an. Dieser zweischiffige, fünfachsige ehemalige Fest- und jetzige Sitzungssaal zählt zu den Hauptwerken des Historismus auf dem Gebiet der Innendekoration. Er ist mit Kunstmarmor verkleidet und weist eine farbenprächtige Kassettendecke auf. Seine Wände werden durch korinthische Pilaster gegliedert, die auf einem durchgehenden Sockel stehen und ein reich verziertes Gebälk tragen. Der Saal erhält sein Licht durch mehrarmige Leuchter aus vergoldeter Bronze, die in der Mitte der mit Stuckmarmor überzogenen Wandflächen angebracht sind. Letztere sind mit einem feinen Netz vergoldeter Ornamente überzogen, wobei immer wieder der Buchstabe W auftaucht, der auf den Bauherrn hinweist. Merkwürdigerweise gibt es im Palais keine repräsentative Kapelle, was für den Wohnsitz des höchsten Repräsentanten des Deutschen Ordens doch ungewöhnlich ist. Lediglich eine kleine Hauskapelle ist hinter einer in der Wand versenkbaren Spiegeltür verborgen.

Lage: direkt an der Ringstraße, gegenüber dem Stadtpark

Ort/Adresse: 1010 Wien, 1010 Wien, Parkring 8

Besichtigung: meist nur von außen möglich


Weitere Literatur:


22.10.2013