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Oberranna


Ranna liegt an der Grenze der Wachau zum Waldviertel auf einem nördlichen Ausläufer des Jauerlings. Während ein nur wenige hundert Meter entfernt gelegenes Schloss „Niederranna“ genannt wird, bezeichnet man die alte Burg am Waldrand als „Oberranna“. Sie wurde 1108 mit einem Pilgrim von Ranna-Grie erstmals erwähnt. Der Wehrbau dürfte aber bereits bestanden haben, als die Herren von Grie um 1070 im Gefolge der Grafen von Formbach aus Bayern ins Waldviertel gekommen waren und das umliegende Gebiet erworben hatten. Noch älter dürfte die Burgkirche sein. Das Wappen der Herren von Grie stellte einen goldenen Greif auf schwarzem Grund dar. Unter „Grie“ versteht man einerseits die Herrschaft Niederranna und anderseits jenes menschenleere Gebiet, das Bischof Altmann von Passau 1083 dem Benediktinerstift Göttweig schenkte. Pilgrim übergab 1108 einen Teil seiner Herrschaft dem Stift Göttweig und nahm anschließend an einem Feldzug König Heinrichs V gegen die Ungarn teil. Danach trat er in das Stift ein. Sein Bruder Waldo vermachte während einer schweren Krankheit seinen Anteil an der Herrschaft dem Landesherrn, Markgraf Leopold III. Überraschenderweise wurde Waldo wieder gesund. Er änderte das Testament zugunsten seiner neu angetrauten Gattin und Tochter. Leopold war damit nicht einverstanden. Ein von ihm in seiner Burg Gars einberufenes Gericht gab ihm natürlich recht. Der Markgraf zog nun auch alle Schenkungen Pilgrims ein und übergab Oberranna seiner Schwester Gebirg. Diese war mit dem böhmischen König Boriwoy verheiratet und mit diesem aus Böhmen vertrieben worden. Sie zog 1120 nach Ranna und ließ die neben der Burg freistehende Wehrkirche ausbauen. Mit ihrem Tod 1142 begann ein langwieriger Rechtsstreit, zwischen dem Markgrafen, dem Stift und dem jüngeren Pilgrim. Letzterer erhielt schließlich den Großteil des Familienbesitzes wieder zurück. Die Herren von Grie waren Lehensleute der Kuenringer und dann der Maissauer. Sie nannten sich in den von ihnen unterzeichneten Urkunden sowohl nach Grie als auch nach Ranna.

Nach dem Aussterben der Familie mit Hans von Ranna kam die Burg 1389 an seinen Schwiegersohn Ulrich von Neidegg. Er hatte Agnes von Ranna geheiratet. Seine Nachkommen ließen im 15. Jahrhundert die Burg stark ausbauen. Die Neidegger gehörten damals zu den wichtigsten Adelsfamilien des Landes. 1556 wurde die Burg für die umliegende Bevölkerung als Fluchtort bestimmt. Kurz danach erfolgte unter Georg von Neidegg der Um- und Ausbau zu einer der mächtigsten Renaissancefestungen Niederösterreichs. Hinter ihren Mauern hätten über 1000 Menschen Schutz suchen können. Georg starb 1570. Im Zuge des folgenden Erbstreites wurde Oberranna 1593 an Christoph von Greiß veräußert. Während der Reformationszeit stand die Burg vorwiegend leer. Im 17. Jahrhundert wurde sie von böhmischen Soldaten geplündert. Ansonsten finden sich in ihrer Geschichte keinerlei kriegerische Ereignisse. Unter den im 17. und 18. Jahrhundert rasch wechselnden Besitzern finden sich u. a. Hans Ruprecht Hegenmüller von Dubenweiler (1628), Philipp Ferdinand von Gudenus (1714), Johann Joachim Graf Sinzendorf (1715) und Joseph Edler von Fürnberg (1785). 1795 gelangte der Besitz an die k. k. Familiengüterdirektion. Unter Kaiser Josef II wurde die Burgkirche aufgehoben. Da die Anlage leer stand und nicht gepflegt wurde, kam es ab 1830 zum Verfall. Daran änderte auch Baron Hammerstein nichts, der sie 1905 erwarb, aber im Ersten Weltkrieg fiel. Seine Witwe, die Schauspielerin Anny Diekens, lebte in schlechten finanziellen Verhältnissen. Sie musste einen Großteil der Einrichtung verkaufen. Zuletzt versetzte sie sogar den Altar der ehemaligen Burgkirche. Der größte Teil der Grundstücke ging an das Stift Göttweig. Erst Laurent Deléglise, der 1930 Oberranna ersteigerte, ließ umfangreiche Renovierungsmaßnahmen an der bereits baufälligen Burg durchführen. Auf ihn geht vor allem die Wiederherstellung der romanischen Kapelle zurück. Er löste auch den Altar im Wiener Dorotheum wieder ein. Seine Witwe war bis 1982 die einzige Bewohnerin der Burg. Nach ihrem Tod kam diese an den Badener Hotelier Dipl. Ing. Roland Nemetz, der die Anlage schrittweise restaurieren ließ und hier seit 1984 ein Burghotel betreibt.

Obwohl im Mauerwerk der eigentlichen Burg nichts auf ein so frühes Entstehungsdatum hindeutet und diese bis in das 20. Jahrhundert hinein als nicht sehr bedeutsam betrachtet wurde, ist es mittlerweile klar, dass Oberranna bereits im frühen 12. Jahrhundert entstanden ist. Grund dafür ist die romanische Burgkapelle aus der Zeit vor 1108. Möglicherweise existierte sie sogar bereits vor der ersten größeren Anlage. Aufgabe der Burg war der Schutz des Griessteiges. Dieser stellte die Verbindung zwischen der Burg Hinterhaus in Spitz an der Donau und Fohraberg dar. 1360 wurde die Burgkirche eine eigene Pfarrei, obwohl zu ihr nur das Schloss, der Meierhof und die Mühle gehörten. Die Pfarre wurde 1424 wieder aufgehoben. Ihre Rechte und Pflichten wurden vom benachbarten Paulinerkloster übernommen. Die Kirche liegt am höchsten Punkt des Burgareals, wurde aber erst 1937, während einer Bauuntersuchung durch den Kunsthistoriker Richard Donin wiederentdeckt und später freigelegt. Zuvor war sie profaniert und durch Mauern in dreizehn unscheinbare Räume unterteilt. Der untere Teil des Westquerschiffes war zugeschüttet. Oberranna ist die älteste in Niederösterreich erhaltene Wehr- und Burgkirche sowie die einzige Burgkapelle des ottonischen Bautyps in Österreich. Ihre Fresken (vier Evangelisten, Lamm Gottes usw.), die allerdings nur mehr in Resten vorhanden sind, stammen aus der Zeit zwischen 1420 und 1500. Die über 25 m lange Kirche war dem hl. Georg geweiht. Bis heute ist es unklar, warum die Kirche in dieser Größe und Qualität errichtet wurde. Für eine Burgkapelle ist sie jedenfalls viel zu groß. Im Mittelalter war sie mit der Burg lediglich durch Wehrmauern verbunden. Die Wände der Kirche bestehen aus unverputztem regelmäßigem Quadermauerwerk.

Der Sakralbau ist ein langgestreckter, einschiffiger, doppelchöriger Raum mit je einem kurzen Querhaus im Osten und Westen. Über den beiden Vierungen befand sich je ein Turm. Erhalten ist jedoch nur mehr der dreigeschossige, bergfriedartig aufragendem Ostturm, da das Westwerk der Kirche in dem vierflügeligen Ausbau der Burg der Neidegger aufging. Auf der Höhe des Läuthauses weist der Turm romanische gekuppelte Biforenfenster auf. Von den beiden Apsiden existiert ebenfalls nur mehr die mit Lisenen, Trapezkapitellen und einem flachen Rundbogenfries verzierte östliche Halbkreisapsis. Auch sie ist ein typisches Werk der Romanik. Der ursprüngliche Zugang lag im südöstlichen Querschiff. Der frühbarocke Hochaltar wurde 1650 vom damaligen Burgherrn, Johann von Greifenfels in Auftrag gegeben. Das Altarblatt zeigt die Anbetung der Hirten. Verschwunden sind die Heiligenfiguren in den seitlichen Altarnischen. Erhalten ist auch ein Seitenaltar im ungarischen Bauernbarock. Kunstgeschichtlich noch bedeutsamer als die Kapelle selbst ist ihre dreischiffige, in Österreich einzigartige, Hallenkrypta unter der erhöhten West- oder Herrschaftsempore. Sie ist von hier aus durch ein Rundbogentor zugänglich. Der Ausgang in den Hof ist neueren Datums. Es handelt sich um einen nahezu quadratischen Raum (5 x 4,8 m). Seine vier schlanken Mittelstützen tragen wuchtige reliefierte Würfel- und Blattkapitelle. Eines dieser Kapitelle ist mit figürlichen Darstellungen versehen, deren Mensch- und Tierabbildungen bis heute noch nicht schlüssig interpretiert sind. Möglicherweise wird der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen dargestellt. Die Kapitelle der anderen drei Säulen sind wesentlich einfacher gehalten. Auf den Charakter einer Wehrkirche weist noch eine schmale Schießluke an der Südseite der romanischen Krypta hin, von der aus anstürmende Feinde durch Bogenschützen bekämpft werden konnten. Ursprünglich war die Krypta nur von der Kirche aus zugänglich. Später wurde sie teilweise mit Schutt zugeschüttet, so dass ihre Bedeutung nicht mehr erkannt wurde.

Die Burg ist von einer fast vollständig erhaltenen doppelten Ringmauer umgeben. Die heutigen Bauteile des reich gegliederten und weithin sichtbaren Wehrbaues stammen größtenteils aus dem 16. Jahrhundert. Vier dreigeschossige Trakte mit unterschiedlicher Firsthöhe umschließen einen kleinen trapezförmigen Innenhof mit Pfeilerarkaden. Aufgrund ihrer Mauerstärke ist bei manchen Bauten ein wesentlich höheres Alter zu vermuten, doch fehlen noch nähere Untersuchungen. Der Zugang erfolgt von Osten her. Das äußere Tor war durch einen zweigeschossigen spätmittelalterlichen Bastionsturm geschützt. Fragmente von Steingewändefenster haben sich erhalten. Auch die Zwingermauer war durch mehrere halbrunde Wehrtürme gesichert. Das im Südflügel gelegene spitzbogige Zugbrückenportal stammt aus einer spätmittelalterlichen Bauphase. Es ist mit Eisenplatten beschlagen. Die einstige Zugbrücke ist mittlerweile durch eine feste Brücke ersetzt worden. Die gesamte Portalzone ist ebenso wie ein Flacherker rechts von ihr und der zweiteilige Breiterker darüber mit einer farbenprächtigen Malerei versehen. Im Breiterker ist eine sog. Pechnase integriert. Mangels eines ausgiebigen Vorrates an heißem Pech, hätte sie im Ernstfall wohl zum Abwerfen von Steinen gedient. In der Renaissancezeit waren alle Fassaden der Burg mit Architekturmalereien überzogen. Die schlecht erhaltenen drei Fresken über dem Eingang stellen den Auftraggeber des Renaissanceumbaues, Georg von Neidegg, dessen Gattin Siguna und seinen Bruder, Roland von Neidegg dar. Letzterer war Vogt über das Paulinerkloster am Fuß des Burgberges. Hinter dem Portal liegt eine zweijochige Eingangshalle mit Kreuzgratgewölbe. Hier steht ein großer reliefierter Wappenstein der Familie Neidegg. Ihr Wappen ist auch in einer Nische in Form eines Freskos zu sehen.

Die Burg hatte keinen Bergfried. Seine Aufgaben wurden von den beiden Türmen der Kirche erfüllt. Wie die Außenmauern waren auch die Wände im Innenhof völlig mit Fresken bedeckt. Südlich der Kirche, aber noch im heutigen Hof, lag der Burgfriedhof. Die außen an der Burgkirche angebrachten Grabsteine erinnern noch daran. Hier wurden bis zur Gründung des Paulinerklosters durch Hans von Neidegg die Burgherren beigesetzt. Danach wurden sie in der Klosterkirche bestattet. Die Krypta wurde niemals als Grablege benutzt. Ihr ursprünglicher Verwendungszweck ist unbekannt. Ein spitzbogiges Biforenfenster im Obergeschoß des talseitigen Westtraktes deutet darauf hin, dass sich hier einst der Palas einer spätromanisch-frühgotischen Burg des späteren 13. Jahrhunderts befunden hat. Er war mit dem Westturm der Kirche durch eine hölzerne Brücke verbunden, die bei Bedarf leicht abgebrochen werden konnte. In den einstigen Wohnräumen und heutigen Gästezimmern finden sich noch einige alte Balkendecken und Fresken aus der Renaissancezeit. Auf einem profanen Fresko aus der Zeit um 1400 ist ein Turnier in einem Burghof zu erkennen. Die ganze Anlage wurde teilweise noch im späten Mittelalter, vorwiegend aber im 16. Jahrhundert mit einem ausgedehnten Befestigungssystem mit Vorburg und Zwinger umgeben. Wegen des gleichzeitig angelegten tiefen und breiten Grabens waren für die Neubauten weit hinabreichende Substruktionen erforderlich. Dieser Graben wird von einem mächtigen Wall umschlossen, der die Basis für den äußeren Bering und mehrere runde bzw. halbrunde Mauertürme ist. Im Südosten wurde der Zugang durch vorgelegte Außenwerke zusätzlich gesichert. Diese bereits für Feuerwaffen eingerichteten Verteidigungsanlagen zeigen interessante Details wie z. B. dreifach gruppierte Gewehrscharten oder auf Pfeiler vorgesetzte Schießkammern.

Lage: oberhalb von Mühldorf, ca. 6 km westlich von Spitz

Ort/Adresse: 3622 Mühldorf, Niederösterreich

Besichtigung: Die Burgkapelle sowie die Krypta sind im Rahmen einer kleinen Führung zu besichtigen. Ein besseres Bild der Anlage erhält man jedoch, wenn man zumindest eine Nacht in den historisch eingerichteten Gästezimmern verbringt


Weitere Literatur:


04.06.2013