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Bregenz - Marienberg (Raczynski-Villa)


Der immens reiche Graf Carl Eduard Nalecz-Raczynski gehörte dem polnischen Hochadel an. Stammsitz seiner Familie war ab 1768 das prächtige Schloss Rogalin bei Posen. Carl Eduard war mit Prinzessin Caroline Theresia von Oettingen-Wallerstein verheiratet, die die Gegend um Bregenz sehr schätzte. Ihr Gatte erwarb 1874 ein mehr als 60.000 m² großes, landwirtschaftlich genutztes Grundstück am Nordwestabhang des Gebhartsberges. Die zwei darauf befindlichen Bauernhöfe wurden abgesiedelt und das Gelände durch den Prager Landschaftsarchitekten Barton in eine großzügige Parkanlage umgewandelt. Zwischen 1875 und 1877 entstand hier der letzte Schlossbau Vorarlbergs, wenn er auch mit alemannischem Understatement lediglich als Villa bezeichnet wurde. Architekt Stefan Tragl entwarf die Pläne. 1878 schenkte Graf Raczynski die kurz zuvor fertiggestellte Schlossvilla seiner Gattin zum 47. Geburtstag. In den folgenden zwanzig Jahren wurde die Villa vor allem in den Sommermonaten Zentrum einer aufwändigen Hofhaltung mit zahlreichem Dienstpersonal. Die häufigen Gäste aus dem europäischen Hochadel wurden mit privaten Konzert-, Theater- und Opernaufführungen unterhalten.

Als die Gräfin 1898 an einem Herzschlag verstarb, zog der Graf nach Polen und kehrte nicht mehr nach Bregenz zurück. Ein Jahr später starb auch er. Da das Ehepaar keine Kinder hatte, erbte der Neffe und Adoptivsohn Eduard Graf Nalecz-Raczynski den Besitz. Er versuchte ihn zu verkaufen, fand aber vorerst keinen finanzkräftigen Interessenten. 1904 erhielt der in Lauterach ansässige Dominikanerinnenorden im Zuge einer Versteigerung den Zuschlag. Das Schloss diente nun als Konvent und Schulgebäude. Es erhielt den Namen Marienberg. Im Zweiten Weltkrieg wurden auf dem Schlossareal Lazarette errichtet. 1945 besetzten französische Truppen Marienberg und richteten hier ein Heim für französische Mütter und Kinder ein. 1946 erhielten die Dominikanerinnen ihr Eigentum wieder zurück. Derzeit ist das Hauptgebäude vermietet und dient zur Abhaltung von Seminaren und Feiern aller Art. Den Dominikanerinnen benutzen die ehemaligen Wirtschaftsgebäude hinter dem Schloss sowie den anschließende Josefsbau aus dem Jahr 1907 als Konvent. In den Jahren 1976 bis 1997 kam es zu einer grundlegenden Sanierung und Renovierung von Schloss und Nebengebäuden.

Die zweigeschossige Schlossvilla dominiert den leicht ansteigenden Park. Architektonisch ist sie ein Werk des Historismus, wirkt aber in ihren Neorokoko-Formen wie ein Schloss aus der Zeit Ludwigs XV. Vor allem die Gestaltung der nach Westen gerichteten Schauseite wirkt sehr nobel. Sie weist sieben Fensterachsen auf, wobei es sich im Erdgeschoß durchwegs um Rundbogenfenster handelt, während im Obergeschoß die drei des kaum vorspringenden Mittelrisalits als rundbogige Terrassentüren gestaltet sind, die auf einen Balkon mit Schmiedeeisengeländer führen. Die beiden äußeren rechteckigen Fensterpaare weisen gewellte Verdachungen auf, unter denen man die Wappen Raczynski-Oettingen erkennt. Das deutlich höhere Obergeschoß ist vom Erdgeschoß durch ein umlaufendes Gesims optisch getrennt. Der Grundriss des Schlosses ist nahezu quadratisch, wobei an den Schmalseiten des Erdgeschosses gartenseitig polygonale Erker vorstehen. Bergseitig ragen ebenfalls polygonale Eckpavillons vor, die die Kapelle und das fürstlich gestaltete Badezimmer beherbergen. In beiden Fällen hat sich die originale Ausstattung erhalten. Die Maria vom Siege geweihte Schlosskapelle ist ein zweijochiger Rechteckraum mit reicher Stuckierung. Das Altarblatt zeigt heute den Hl. Dominikus vor dem Gekreuzigten. In der Kapelle befand sich drei Jahre lang jene Marienstatue, die zum Vorbild aller bildlichen Darstellungen der Muttergotteserscheinung von Lourdes wurde. Beeindruckend ist das Badezimmer mit seiner qualitätvollen Neo-Rokokoausstattung. Seine prächtigen farbigen Glasfenster deuten aber bereits auf den kommenden Jugendstil hin. Die in den Boden eingelassene Badewanne wurde aus einem einzigen Block Carraramarmor gemeißelt. Ein repräsentatives Stiegenhaus mit stuckierter Decke führt ins Obergeschoß. Auch in den hier befindlichen gräflichen Wohn- und Repräsentationsräumen hat sich die reiche Wand- und Deckenstuckierung erhalten. Bemerkenswert ist der zentrale Musiksalon, in dem in einer Nische ein weißer Fayenceofen steht. Auf dem ersten Blick erkennt man kaum, dass er dem Rokoko nur nachgebaut ist. Der Schlosseingang liegt an der Rückseite. Ein gedeckter Gang verbindet ihn mit dem dahinter liegenden Nebengebäude, dem jetzigen Konvent der Schwestern. Von hier aus führt eine geschwungene Straße den Hügel hinab zum Pförtnerhaus und zum eleganten schmiedeeisernen Parktor.

Lage: Vorarlberg/Bodensee

Ort/Adresse: 6900 Bregenz, Schlossbergstraße 11

Besichtigung: meist nur von außen möglich

Homepage: www.marienberg-seminarhaus.at


Weitere Literatur:


13.09.2012