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Wien - Bundeskanzleramt


Das österreichische Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz war lange Zeit nicht nur ein Repräsentations- und Amtsgebäude sondern auch ein Palais, das den jeweiligen Kanzlern und Außenminister als Wohnung diente. Drei starben sogar hier: Felix Fürst Schwarzenberg, Heinrich Freiherr von Haymerle und Aloys Graf Lexa von Aehrenthal. Wie bei Regierungsgebäuden in vielen Ländern üblich, wurde die Adresse, in diesem Fall Ballhausplatz 2, oft als Synonym für das österreichische Bundeskanzleramt sowie für die österreichische Außenpolitik verwendet, obwohl die ausufernde Bürokratie längst dazu geführt hat, dass weitere Gebäude in der Innenstadt Wiens einzelne Sektionen des Bundeskanzleramtes beherbergen und das Außenministerium 2005 in das unweit gelegene Haus der ehemaligen Niederösterreichischen Statthalterei gezogen ist. Kaiser Ferdinand I ließ hier 1520 ein sog. Ballhaus erbauen. Er hatte die Sportart des mit dem heutigen Tennis verwandten Ballspieles aus Spanien mitgebracht. Sie wurde bei der Wiener Jungaristokratie bald sehr populär. Das Ballhaus wurde jedoch schon beim Stadtbrand von 1525 zerstört, danach aber neuerlich errichtet. Es wurde erst 1903 endgültig abgerissen, obwohl es schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts anderen Zwecken gedient hatte. Geblieben ist der Name. Wenn man heute aber vom Ballhausplatz spricht, so meint man meist nicht den Platz, sondern das heutige Bundeskanzleramt. Der Platz selbst ist erst im 18. Jahrhundert entstanden. Auf dem Areal des heutigen Bundeskanzleramtes befanden sich im 16. Jahrhundert die Pfisterei (Klosterbäckerei) des benachbarten Minoritenklosters sowie das Haus des Provinzials. Außerdem wird hier zu Beginn des 18. Jahrhunderts der Meierhof des Hofspitals erwähnt. Er wurde 1717 abgerissen. Kaiser Karl VI fand, dass eine Weltmacht, die Österreich damals war, ein repräsentatives Gebäude für die kaiserliche Diplomatie benötigte.

Hofkanzler Philipp Ludwig Wenzel Graf Sinzendorf ersuchte die Landstände um die Finanzierung eines neuen Palais. Der noch im gleichen Jahr begonnene Bau wurde von Baumeister Christian Alexander Oedtl nach Plänen von Johann Lukas von Hildebrandt errichtet. Zur Finanzierung wurde in allen österreichischen Provinzen eine eigene Steuer eingehoben. Der Rohbau stand 1719, doch dauerte die Innenausstattung noch mehrere Jahre. Die hochbarocke Außenfront wurde den Gebäuden angepasst, die damals noch unmittelbar den Neubau umgaben (Hofspital, Minoritenkloster, Palais Scalvinioni. Die Repräsentationsräume wurden sehr aufwändig ausgestattet. Die Eingangshalle und das Treppenhaus dienten dem zeremoniellen Empfang ausländischer Botschafter und Delegationen. Sie sollten daher gleich einen Eindruck von der Größe und Bedeutung Österreichs geben. Im ersten Stock lag der große Saal mit dem Balkon. Rechts und links davon befanden sich zwei Ecksalons, die die Verbindung zu den wesentlich einfacher gehaltenen Räumen an den Seitenfronten bildeten. Die Wohnräume des Hofkanzlers lagen im Hintertrakt. Auch sie waren eher schlicht gehalten. Das Gebäude wurde Sitz der Staatskanzlei, die auch die Aufgaben eines Außenministeriums übernahm. Für die praktische Arbeit der außenpolitischen Abteilung standen nur wenige Zimmer zur Verfügung, so dass ab 1742 die ersten Haus-, Hof- und Staatskanzler Ulfeld und Kaunitz vorwiegend in ihren eigenen Palais zu arbeiten pflegten. Seine erste Glanzzeit erlebte der Bau dennoch unter dem Staatskanzler Wenzel Anton Fürst Kaunitz. Auf Grund der Verwaltungsreformen der Kaiserin Maria Theresia war das Palais bald zu klein geworden. Vor allem die Zentralisierung der bisherigen Landesverwaltungen in Graz, Innsbruck und Prag benötigten umfangreichen Archiv- und Büroraum. Die Situation verbesserte sich erst ab 1767 als der Hofarchitekt Nicolaus Pacassi das Gebäude nicht nur renoviert, sondern vor allem deutlich erweitert hatte. Damals wurde auch eine zweigeschossige Kapelle eingebaut. Durch den Abriss des Palais Scalvinioni wurde der heutige Ballhausplatz geschaffen.

Kaunitz nahm an der Ausgestaltung der Räume großen Anteil. Da er Sonnenlicht und Frischluft nicht vertrug, suchte er sich das dunkelste Zimmer als Amtsraum aus. Seine zweite Blütezeit begann für das Palais 1809, als Clemens Wenzel Graf Metternich zum Staatskanzler ernannt und mit der Außenpolitik beauftragt wurde. 1813 wurde er in den Fürstenstand erhoben. Metternich und seine Familie bewohnten jeweils vom Herbst bis zum nächsten Mai den hinteren Teil des ersten sowie Teile des zweiten Stocks des Gebäudes, das damals Palais Metternich genannt wurde. Für den Rest des Jahres bevorzugten sie ihr Sommerpalais am Rennweg. Die Beamten der Staatskanzlei hatten im Hochparterre ihre Büros. Im linken Flügel war die ausländische und im rechten die inländische Abteilung untergebracht. Das Souterrain war den Stallungen und Remisen sowie der Küche und anderen Wirtschaftsräume vorbehalten. Auch ein Teil der Bediensteten lebte hier. In der Beletage befanden sich neben dem mit weißem Stuck geschmückten Säulensaal der Empfangssaal, der Livrée-Saal sowie der Blaue und der Grüne Salon, aber auch der große und der kleine Speisesaal. Die über 20.000 Bände umfassende Privatbibliothek Metternichs und sein Arbeitszimmer waren ebenfalls hier untergebracht. Während des Wiener Kongresses spielte das Gebäude als zentraler Verhandlungsort eine bedeutende Rolle. Am 9. Juni 1815 wurden im Kongresssaal von den Bevollmächtigten die Schlussakte unterzeichnet. Unter Metternich wurde das Gebäude renoviert und leicht verändert. So wurde 1818 in der Hauskapelle eine Zwischendecke eingezogen und der neu gewonnene Raum als zusätzliche Bibliothek verwendet. Durch eine Öffnung im Fußboden konnte man der Hl. Messe folgen. Das Altarbild, das den Hl. Nepomuk darstellte, war für den verbliebenen niederen Raum nun zu groß und wurde der Gerasdorfer Pfarrkirche geschenkt. Dort ist es jedoch verschwunden. Vor seiner Wohnung ließ Metternich das sog. Paradeisgartl anlegen.

1821 und 1826 erfolgten spätklassizistische Umbau- und Renovierungsarbeiten. Bei einer Fassadenrenovierung ging der Figurenschmuck der Attika verloren. Das alte Mansardendach wurde durch eine Kupferdeckung und die zu kleinen Fenster des Obergeschosses durch größere ersetzt. Bereits 1825 war im Haus eine moderne Warmluftheizung eingebaut worden. Metternich trat im Zug der Revolution von 1848 von seinem Amt zurück und floh nach England. Sein Nachfolger am Ballhausplatz wurde Felix Fürst Schwarzenberg. 1881/82 wurde das Gebäude in Richtung Löwelstraße/Metastasiogasse (damals Kreuzgasse) durch den Architekten Ludwig Ritter von Zettl im neobarocken Baustil erweitert. Er hatte die bereits 1819 von Johann Aman gezeichneten Pläne ausgeführt. Das nach dem Ausgleich mit Ungarn geschaffene k. u. k. Ministerium des Äußeren brauchte neuen Platz. Der Architekt Otto Hofer ließ nach der Demolierung des Minoritenklosters als letzten Bauteil in den Jahren 1899 bis 1902 am Minoritenplatz einen Ergänzungstrakt errichten, der das Haus-, Hof- und Staatsarchiv aufnahm. Auch hier wurde die barocke Fassade des Haupthauses nachgeahmt, so dass das Palais wie aus einem Guss wirkt. 1914 ging vom Ballhausplatz das verhängnisvolle Ultimatum an Serbien ab, das zum Auslöser des ersten Weltkrieges wurde. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie residierten am Ballhausplatz die österreichischen Bundeskanzler sowie die für die Außenpolitik zuständigen Regierungsmitglieder. Seit 1920 fanden hier die Ministerratssitzungen statt. Von 1920 bis 1938 und dann 1945/46 diente das Bundeskanzleramt auch dem österreichischen Bundespräsidenten als Amtssitz. Am 25. 7. 1934 wurde im Zuge eines nationalsozialistischen Putschversuches in einem Salon der Beletage der damalige Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß ermordet. Über 150 Putschisten waren in das Gebäude eingedrungen und hatten vergebens versucht die Regierung zu stürzen. Nach dem erzwungenen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahr 1938 hatte das bisherige Bundeskanzleramt seine Aufgaben und seine Bedeutung verloren. In dem ehemaligen Palais wurden vorerst nur untergeordnete Dienststellen untergebracht.

1940 zog Gauleiter Baldur von Schirach ein. Bei einem Luftangriff auf Wien wurde der rechte Gebäudeflügel mit dem ehemaligen Kanzlerzimmer 1944 durch Fliegerbomben weitgehend zerstört. Hingegen erlitt das Bundeskanzleramt beim Endkampf um Wien im April 1945 keine weiteren Schäden. Die bauliche Wiederherstellung erfolgte bis 1946. Die zerstörten Innenräume wurden bis 1950 von den Architekten Oswald Haerdtl und Robert Obsieger wieder hergestellt bzw. neu gestaltet. Während die Zimmer des Bundeskanzlers modern eingerichtet wurden, griff man bei den übrigen Räumen auf Barock und Neobarock zurück. Als erster Regierungschef bezog Leopold Figl im November 1945 das noch teilweise ruinöse Haus. Bundespräsident Dr. Karl Renner übersiedelte 1946 in den Leopoldinischen Trakt der Hofburg, der bis heute Sitz des Bundespräsidenten ist. 1959 wurde das 1922 aufgelöste Außenministerium neu gegründet. Es bezog wieder etliche Räume in seiner alten Wirkungsstätte. Von den zahlreichen Abkommen und internationalen Verträgen, die hier unterzeichnet wurden sei nur das Marshallplan-Abkommen (1948) genannt, das für den Wiederaufbau Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg von größter Bedeutung war. Eine Generalrenovierung stellte zwischen 1990 und 2000 den Originalzustand der Prunkräume soweit wie möglich wieder her. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeichnete es sich ab, dass das barocke Palais zu wenig Büroraum für das Kanzleramt und das Außenministerium habe. Es wurde daher beschlossen, das Außenministerium in die Gebäude Herrengasse 11 und 13 zu verlegen, da diese 1997 durch die Übersiedlung der niederösterreichischen Landesregierung nach St. Pölten frei geworden waren. Seit 2005 ist das Bundeskanzleramt nur mehr Sitz des Bundeskanzlers und seiner Mitarbeiter. Schon 1984 wurde zwischen der Hofburg und dem Bundeskanzleramt ein unterirdischer Gang angelegt, wohl in Erinnerung an die Vorkommnisse 50 Jahre zuvor, als es dem damaligen Bundeskanzler nicht gelang, sich vor einem – schließlich missglückten – Putschversuch in Sicherheit zu bringen. Vor einigen Jahren leistete dieser Gang gute Dienste, als eine neue Bundesregierung beim Bundespräsidenten in der Hofburg angelobt werden sollte und die Minister diesen Gang benützten, so dass die vor dem Bundeskanzleramt wartenden Demonstranten auf ihren mitgebrachten Wurfgeschossen sitzen blieben.

Das Bundeskanzleramt entspricht sowohl von außen als auch in seinen Repräsentationsräumen einem typischen Wiener Barockpalais. Es bildet mit dem anschließenden neobarocken Haus-, Hof- und Staatsarchiv einen großen, freistehenden, fünfseitigen Gebäudekomplex. Seine barocke Schauseite ist dem Ballhausplatz zugewendet. Trotz der vielen Umbauten entspricht diese Seite noch weitgehend dem Werk Hildebrandts. Die mit Keilsteinen geschmückten Fenster des gebänderten Sockelgeschosses weisen schöne schmiedeeiserne Gitterkörbe auf. Die 1826 vergrößerten Fenster der Beletage sind mit geraden Verdachungen versehen. Der kaum vortretende dreiachsige Mittelrisalit wird durch korinthische Riesenpilaster gegliedert, die die beiden Obergeschosse zusammenfassen. Die drei großen rundbogigen Fenster im ersten Stock des Mittelrisalits zeigen segmentbogige bzw. dreieckige Verdachungen mit darunter befindlichen vergoldeten Masken. Die einstigen barocken Attikafiguren wurden 1826 durch einen einfachen Aufbau mit einem geteilten Ochsenauge ersetzt. Das zentrale Rundbogenportal wird von schräg gestellten Pilastern eingefasst. Darüber springt ein geschwungener Balkon mit steinerner Balustrade vor. Die Seiten- sowie die Hoffassaden sind der Hauptfront angepasst. Die dreischiffige tonnengewölbte Einfahrtshalle ist mit Bandlwerkstuck geschmückt. Im rechts neben der Einfahrt liegenden Stiegenhaus führt eine vierarmige Prunktreppe zur Beletage mit ihren Repräsentationsräumen. Der Aufgang ist mit qualitätvollen Schmiedeeisenlaternen ausgestattet. Das Spiegelgewölbe des Treppenhauses ist mit stuckierten Medaillons, Putten und Bandlwerk reich geschmückt.

Das Innere des Hauses stammt zum größten Teil aus dem 19. Jahrhundert. Im linken Bereich der Beletage hat sich die spätklassizistische Enfilade der Repräsentationsräume erhalten, während im rechten Teil die Säle nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges neu gestaltet wurden. In diesem Flügel befinden sich heute die Amtsräume des Bundeskanzlers. Sein Arbeitszimmer ist der ehemalige Säulensaal. Zu den erhaltenen Prunkräumen im linken Teil der Ballhausplatz-Front zählt der Kongresssaal, dessen mit Stuccolustro verkleideten Wände mit vergoldeten Palmetten geschmückt sind. Mit 120 m² ist er der größte Saal des Hauses, in dem heute Pressekonferenzen und Staatsbankette sowie Konzerte stattfinden. Zu den originalen Einrichtungsgegenständen zählen zwei Marmorkamine sowie eine bemerkenswerte Uhr mit Bronzefiguren des Amors und einer Siegesgöttin. Weitere Bronzefiguren dienen als Leuchterhalter. Angeblich dienten zur Zeit Metternichs die Lüftungsgitter an der Decke der Bespitzelung der Teilnehmer am Wiener Kongress. Beim daneben liegenden Grauen Ecksalon handelt es sich um den ehemaligen Kleinen Speisesaal, der heute ebenfalls für Besprechungen und Empfängen genützt wird. Neben seiner Stuckdecke sind auch die Uhren sowie die vergoldeten Luster, Kandelaber und Spiegelrahmen original. Der Große Ministerratssaal war einst der Große Speisesaal. Das hier hängende Porträt zeigt Kaiser Franz Joseph in jungen Jahren. Es wurde von Anton Einsle 1850 gemalt. Die Wände des Saales werden durch korinthische Pilaster gegliedert. Der Eckkamin trägt einen vergoldeten, figural dekorierten Spiegelaufsatz. Auf den Großen Ministerratssaal folgen die ehemalige Bibliothek und das Arbeitszimmer Metternichs. Beide sind etwas einfacher gehalten. Die anschließenden vier Räume wurden 1881/82 in Neorokokoformen gestaltet. Die dem hl. Nepomuk geweihte Hauskapelle zeigt sich seit dem 1818 erfolgten Einzug einer Zwischendecke als niederer quadratischer Raum. Ihr Altar dürfte aus dem Umkreis von Matthias Steinl stammen und um 1720 geschaffen worden sein. Bei den Glasfenstern handelt es sich um Kopien spätgotischer Scheiben, die anlässlich der Restaurierungsarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden.

Ort/Adresse: 1010 Wien, Ballhausplatz 2

Besichtigung: mit Ausnahme des Staatsfeiertages (26.10.) und gelegentlichen Veranstaltungen nur von außen möglich

Homepage: www.austria.gv.at/site/3356/default.aspx


Weitere Literatur:


18.10.2011