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Hernstein - Schloss


Nachdem die alte Burg Hernstein bereits verfallen war, ließ der damalige Besitzer der Herrschaft, Karl Josef Graf Heussenstein, zwischen 1727 und 1730 den unterhalb der Ruine gelegenen Meierhof zum „Neuen Schloss“ ausbauen und mit einer Kapelle versehen. Nach mehrmaligem Besitzerwechsel erwarb 1830 Erzherzog Rainer, der Bruder von Kaiser Franz und Vizekönig von Lombardo-Venetien, das schlichte Anwesen. Es bestand aus vier zweigeschossigen Trakten, die sich um einen rechteckigen Innenhof gruppierten. Der Sohn des Erzherzogs, Leopold Ludwig, beschloss 1855 das Gebäude im Stil der von ihm bevorzugten englischen Gotik als Jagdschloss adaptieren zu lassen. Nachdem ihm die Pläne des Wiener Baumeisters Franz Schebecie nicht zugesagt hatten, beauftragte er Theophil Hansen mit diesem Umbau. Zuvor wurde der südliche Teil des Parks neu angelegt, der vorbeifließende Bach zu einem Teich gestaut und die Straße, die bisher direkt am Schloss vorbeiführte, außerhalb des Parkes verlegt. Die Neugestaltung der Fassaden war zwar nach zweijähriger Bauzeit beendet, doch zog sich dann die Ausstattung des Inneren über 25 Jahre hin, da auch sie von Hansen vom Mobiliar bis zu den Türschnallen und von den Kandelabern bis zum Tafelsilber durchgeplant wurde. Hernstein diente dem Architekten als Experimentierfeld für neue Ideen, die er dann bei seinen Bauten an der Wiener Ringstraße (Börse, Parlament, Palais Erzh. Wilhelm) oder in Athen verwirklichte. Daran erinnert noch das Schreibzeug des Erzherzogs, das als Modell für das Pallas Athene Denkmal vor dem Wiener Parlament diente. Der Bauherr musste 1868 aus gesundheitlichen Gründen seine – ohnehin glücklose – militärische Karriere beenden. Er zog sich nach Hernstein zurück, wo er sich dem Sammeln seltener topographischer Werke widmete und 1898 starb. Sein Bruder, Erzherzog Rainer der Jüngere, erbte den Besitz. Von ihm ging das Schloss 1913 auf seinen Großneffen Leopold Salvator über und 1931 an dessen Söhne Anton, Franz Josef und Carlos. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges zerstörte ein Volltreffer das Dach des Gebäudes, richtete aber im Inneren keinen Schaden an. Nach 1945 war Hernstein Sitz des russischen Oberkommandierenden. 1955 erwarb die Erste Österreichische Spar-Casse die bereits ramponierte Anlage, verkaufte sie aber 1963 an die Wiener Handelskammer. Nach einer gründlichen Sanierung und Trockenlegung des gesamten Komplexes, erfolgte die großangelegte Restaurierung der prunkvollen Innenräume. Seit 1966 ist im Schloss das Hernstein International Management Institute untergebracht. Zur Aufnahme der Seminargäste wurde 1976 an der Westseite des Gebäudes, wo einst die Stallungen und Wagenremisen lagen, ein moderner Hotelbau errichtet, der zwar überhaupt nicht zum historistischen Schloss passt, aber durch dieses verdeckt wird, wenn man sich ihm vom Park her nähert.

Das Schloss liegt inmitten eines englischen Landschaftsparks an einem großen Teich, in dessen Wasser sich die Maßwerksverzierungen und fialengerahmten Fenster der Fassade spiegeln. Hansen stützte sich auf die alte Bausubstanz, die er bestehen ließ, ihr aber durch die Neugestaltung der Fassaden ein vollkommen neues Aussehen gab. Die größte bauliche Veränderung war die Errichtung von zwei viereckigen Türmen über den Durchfahrten an den beiden Schmalseiten des Gebäudes. Im westlichen Turm wurde die Kapelle eingerichtet, der östliche diente als Uhr- und Glockenturm. In der Mitte des Schlosshofes befindet sich ein Springbrunnen mit vier Amoretten und Schwänen, aus deren Schnäbeln Wasser quillt. Zur besseren Gliederung der langgestreckten Südfassade ließ ihr Hansen im Erdgeschoß eine kleine Freitreppe und im Obergeschoß einen Balkon vorsetzen. Sie verlor ihre Monotonie durch die vertikale Betonung der Fenster. Das Hochziehen der Fialen der Fensterverdachungen des ersten Stocks in das Dachgeschoß verbesserte die Proportionen und lässt den Bau höher erscheinen. Der reiche Maßwerkschmuck wurde zum Teil aus Sandstein, aber auch aus Terrakotta gefertigt. Durch die beiden Längsflügel ergab sich im Inneren eine Zweiteilung. Im Erdgeschoß und im ersten Stock des Südtraktes befanden sich die Appartements des Erzherzogs, die eine schöne Aussicht in den Park und auf den Teich boten. Die Fenster des Nordflügels sind auf den steil ansteigenden Berg gerichtet. Hier wurde im Parterre die Dienerschaft untergebracht. Darüber wurden einige Gästezimmer eingerichtet. Allen Räumen wurde hofseitig ein umlaufender Gang vorgelegt, so dass sie getrennt begehbar sind.

Die seinerzeitigen Interieurs wurden in einer Aquarellserie von Franz von Alt in den 70er-Jahren des 19. Jh. festgehalten. Gesellschaftliches Zentrum im Erdgeschoß war der Gartensalon. Er hatte die Aufgabe einer Sala terrena, den Garten in das Schloss zu verlängern. Zu diesem Zweck wurden drei Wände von Josef Hoffmann mit illusionistischen Landschaftsdarstellungen geschmückt. Große Spiegelflächen an der Südwand vergrößerten optisch diesen Raum. Er war von außen über die zentrale Freitreppe zugänglich. Der Plafond war mit einem 13 m langen und 5 m breiten, kostbaren Seidenstoff bespannt, den einst Napoleon I von syrischen Beduinenscheichs als Geschenk erhalten hatte. Runde Sofas und Springbrunnen schufen eine orientalische Atmosphäre. Leider fiel dieser zauberhafte Raum anlässlich der großen Restaurierung den Umbauten zum Opfer, da man angeblich befand, dass die totale Wandbemalung die Seminarteilnehmer bei nicht sehr spannenden Vorträgen zu stark ablenken könnten. Flankiert wurde der Gartensalon vom Arbeitszimmer und der Bibliothek. Hier befand sich die über 20.000 Bände zählende Büchersammlung des Erzherzogs, wobei alle Bände in weißem Pergament gebunden und mit seinem goldgepressten Monogramm versehen waren. Sie wurde 1955 im Wiener Dorotheum versteigert. Im nordöstlichen Bereich des Erdgeschosses führt eine für Hansen typische Prunktreppe in die Beletage. Sie ist aus rotem Marmor gearbeitet und trägt ein schmiedeeisernes Geländer. Zu den schönsten Räumen des ersten Stocks zählt der in rotbraunen und goldenen Tönen gehaltene ehemalige Empfangssaal, der an den Großen Musikvereinssaal in Wien erinnert. Sein Plafondgesims wird von 22 goldenen weiblichen und männlichen Hermen getragen. Die 1870 von Christian Griepenkerl geschaffene Deckenmalereien nehmen thematisch auf die Jagdleidenschaft des Bauherrn bezug. In den Eckkassetten, die die Zentralfigur der Jagdgöttin Diana umgeben, erscheinen Symbole der Tugenden des Jägers: listig wie der Fuchs, schnell wie der Adler, stark wie der Löwe und gewandt wie der Steinbock. Die vier großen Kandelaber, die den Raum schmücken, zählen zu den besten Werken Hansens auf dem Gebiet der angewandten Kunst. Der Empfangssaal war durch große Schubtüren mit dem Ahnensaal verbunden. In die Felder seiner Wandverkleidung sind zehn idealisierte, lebensgroße Habsburger-Portraits von August Eisenmenger eingelassen. Eduard Bitterlich schuf 1867 die Ölgemälde der Kassettendecke, die den von Kunst und Wissenschaft flankierten Herrschertugenden gewidmet sind. Auch die Decke des ehemaligen Schlafzimmers ist reich mit Schnitzereien und Malereien geschmückt. Besonders repräsentativ ist das Speisezimmer, dessen Holzdecke mit reicher pflanzlicher Ornamentik verziert ist. Zu den interessantesten kunstgewerblichen Arbeiten des Historismus zählt der figurenreiche Tafelaufsatz aus Goldbronze. Er kündet von der Jagd und den trinkfreudigen Jägern. Oberhalb der westlichen Durchfahrt liegt die 1860 fertiggestellte neugotische Kapelle. Die Darstellungen der acht habsburgischen Schutzpatrone in ihren Gewölbefeldern stammt von Carl Rahl.

Lage: Niederösterreich/Voralpengebiet – ca. 6 km südlich von Berndorf am Ortsanfang der Gemeinde Hernstein

Besichtigung: normalerweise nur von außen möglich. Im Rahmen der Seminare sind auch die Prunkräume zugänglich.


Weitere Literatur:


05.11.2002